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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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tollkühn, so irrational vorkam – und doch liebte ich sie dafür.
    Eine Vorahnung durchzuckte mich, so düster wie ein Bild des Sensenmanns auf seinem Rappen. Lorrie würde einer Kugel zum Opfer fallen. Verzweiflung folgte diesem finsteren Gedankenblitz, und ich war zum Äußersten entschlossen, um sie zu beschützen.
    Später hat sich diese Vorahnung tatsächlich bewahrheitet, und nichts, was ich unternahm, konnte die Flugbahn der Kugel ändern.

10
    Unser Geiselnehmer hatte feuchte Wangen. Die Tränen hatten alle bitteren Gefühle aus seinen Augen gespült, aber dabei waren offenbar auch sämtliche Zweifel beseitigt worden. Er machte den Eindruck eines Pilgers, der auf dem ersehnten Berggipfel gewesen ist und nun weiß, was sein Schicksal und seine Ziele sind.
    Er befreite mich und Lorrie von den Stühlen, ließ uns jedoch aneinandergekettet.
    »Seid ihr beide eigentlich von hier?«, fragte er vertraulich, während wir auf die Beine kamen.
    Nach seinen gewalttätigen Aktionen und seinem bombastischen emotionalen Ausbruch leuchtete es mir wenig ein, dass er plötzlich den Wunsch zu lockerem Geplauder hegte. Offenbar verfolgte er mit der Frage einen Zweck, der bedeutsamer war als ihr oberflächlicher Sinn, was bedeutete, dass unsere Antworten unvorhersehbare Folgen haben konnten.
    Argwöhnisch zögerte ich deshalb mit der Antwort, und auch Lorrie schwieg, wohl aus demselben Grund.
    Der Mörder ließ nicht locker. »Na, was ist, Jimmy? Dies ist die Bücherei des County, also kommen hier Leute aus der ganzen Gegend her. Wohnst du in der Stadt oder irgendwo draußen auf dem Land?«
    Ich wusste zwar nicht, auf welche Antwort er positiv reagieren würde, aber ich spürte, dass weiteres Schweigen mir eine Kugel eintragen würde. Schließlich hatte er Lionel Davis ganz ohne Grund erschossen.

    »Ich wohne in Snow Village«, sagte ich.
    »Wie lange schon?«
    »Mein ganzes Leben.«
    »Gefällt es dir hier?«
    »Nicht, wenn ich mit Handschellen im Keller der Bücherei hocke«, sagte ich, »aber anderswo in der Stadt finde ich es ganz schön, klar.«
    Das Lächeln des Mörders sah auf unheimliche Weise gewinnend aus. Außerdem war mir schleierhaft, wie jemand ständig mit den Augen blinzeln konnte, falls man ihm nicht motorisierte Prismen implantiert hatte, die unablässig die äußeren Lichtquellen verfolgten. Bestimmt schaffte es kein anderer wahnsinniger Mörder, sich so sympathisch darzustellen, indem er einfach den Kopf schief legte und einem ein schiefes Lächeln schenkte.
    »Du bist ein lustiger Typ, Jimmy«, sagte er.
    »Ist eigentlich gar nicht meine Absicht«, sagte ich entschuldigend und scharrte mit den Füßen auf den polierten Kalksteinfliesen. Dann fügte ich hinzu: »Außer, Sie wollen es so haben, natürlich.«
    »Ihr könnt mich gerne duzen«, sagte er leutselig. »Weißt du, obwohl ich im Leben so viel durchmachen musste, hab ich doch Sinn für Humor.«
    »Hab ich gemerkt.«
    »Was ist mit dir?«, fragte er Lorrie.
    »Ich hab auch Sinn für Humor«, erwiderte sie.
    »Aber hallo. Du bist noch wesentlich lustiger als Jimmy.«
    »Wesentlich«, pflichtete sie ihm bei.
    »Aber eigentlich wollte ich wissen: Wohnst du hier in der Stadt?«, stellte er klar.
    Da ich dieselbe Frage bejaht hatte und nicht augenblicklich erschossen worden war, wagte sie zu sagen: »Ja. Zwei Straßen von hier entfernt.«

    »Auch schon das ganze Leben?«
    »Nein. Erst seit einem Jahr.«
    Das erklärte, wieso sie mir zwanzig Jahre lang entgangen war. Natürlich kann man in einer Stadt mit vierzehntausend Einwohnern alt und grau werden, ohne mit neunzig Prozent der Bevölkerung je ein Wort gewechselt zu haben. Hätte ich sie jedoch auch nur um eine Ecke biegen sehen, so hätte ich ihr Gesicht niemals vergessen. Ich hätte nächtelang wach gelegen und darüber nachgegrübelt, wer sie sein mochte, wohin sie gegangen war und wie ich sie finden konnte.
    »Ich bin in Los Angeles aufgewachsen«, fuhr sie fort. »Tja, und als ich nach neunzehn Jahren in L. A. immer noch nicht total ausgeflippt war, wurde mir klar, dass ich fast keine Zeit mehr hatte, um abzuhauen.«
    »Gefällt es dir hier in Snow Village?«, fragte der Mörder.
    »Bisher ja. Ist nett hier.«
    Weiterhin lächelnd und zwinkernd, voller Charme und ohne die geringste Spur von Wahnsinn in der Stimme sagte der Mörder: »Snow Village ist ein böser Ort.«
    »Na ja«, meinte Lorrie, »klar ist er böse, aber manches ist auch ziemlich nett.«
    »Zum Beispiel das Restaurant Morelli«,

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