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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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mal jemandem das Auge ausgestochen?«
    »Nein. Aber ich kann mir gut vorstellen, es zu tun.«
    Jetzt konnte ich meinen Sarkasmus nicht länger unterdrücken. »Was bist du eigentlich von Beruf – Profi-Killerin oder so was Ähnliches?«
    Sie runzelte die Stirn. »Nicht so laut! Ich bin Tanzlehrerin.«
    »Und Ballettunterricht zu geben befähigt einen, fremden Männern das Auge auszustechen?«
    »Natürlich nicht, du Einfaltspinsel. Ich unterrichte nicht Ballett, sondern Gesellschaftstanz. Foxtrott, Walzer, Rumba, Tango, Cha-Cha-Cha, Swing und so weiter.«
    So ein Pech. Da war ich an eine wunderschöne Frau gefesselt, die sich als Tanzlehrerin entpuppte, und ich war ein Tölpel.
    »Du schreckst bestimmt davor zurück«, wiederholte ich beharrlich, »und deshalb verfehlst du sein Auge, und dann erschießt er uns.«
    »Selbst wenn ich es verbocke, was ich nicht tue«, sagte sie, »also selbst wenn ich es verbocke, wird er uns nicht erschießen. Hast du nicht aufgepasst? Er braucht Geiseln. «
    Da war ich anderer Meinung. »Er braucht keine Geiseln, die versuchen, ihm das Auge auszustechen.«
    Sie rollte die Augen nach oben, als wollte sie ein Stoßgebet zum Himmel jenseits der Zimmerdecke senden: »Bitte sag mir, dass ich nicht an jemanden gefesselt bin, der ein Pessimist und ein Feigling ist.«
    »Ich bin kein Feigling. Ich bin bloß vernünftigerweise vorsichtig. «
    »Das behauptet jeder Feigling.«
    »Das behauptet aber auch jeder vernünftigerweise vorsichtige Mensch«, erwiderte ich und hätte dabei lieber nicht so defensiv geklungen.

    Am anderen Ende des Raums fing der Irre damit an, mit einer Faust auf die Zeitung zu hämmern, in der er las. Dann mit beiden Fäusten. Er hämmerte wie ein Baby, das einen Tobsuchtsanfall bekommen hat.
    Mit grässlich verzerrtem Gesicht gab er unartikulierte Wutgeräusche von sich. Offenbar hatte sich der Rest eines primitiven Neandertaler-Bewusstseins, das in seinen Genen schlummerte, von den Fesseln aus Zeit und DNA gelöst.
    Erst war seine Stimme von Zorn erfüllt, dann von Frustration, dann von einer Art wildem Gram, dann wieder von einem immer weiter anschwellenden Zorn. Es war der Anblick eines über einen schweren Verlust heulenden Tiers, dessen Wut im schwarzen Nährboden des Elends wurzelte.
    Er schob seinen Stuhl zurück und griff nach seiner Pistole. Dann feuerte er die im Magazin verbliebenen acht Geschosse in die Zeitung, die er gelesen hatte.
    Der scharfe Knall der Schüsse hallte von der gewölbten Decke wider, prallte von den umgedrehten Messingschirmen der Deckenfluter ab, wogte zwischen den Blechschränken des Archivs hin und her. Ich spürte, wie das Echo jeder einzelnen Erschütterung in meinen Zähnen summte.
    Da die Salve zwei Stockwerke unter dem Erdboden abgefeuert worden war, hatte sie die Straße bestenfalls als leises Knattern erreicht.
    Splitter des alten Holztischs flogen durch die Gegend, Papierfetzen wirbelten umher, und einige Kugeln pfiffen als Querschläger durch die Luft. Von manchen Trümmern stiegen Rauchfäden auf. Der Duft der alternden Zeitung war gewürzt mit beißendem Pulverdampf und einem Geruch nach frischem Holz, der aus den Wunden des Tischs quoll.
    Als der Mörder anschließend wiederholt den Abzug durchzog, ohne etwas zu bewirken, freute ich mich einen Augenblick darüber,
dass er seine Munition verschossen hatte. Aber er hatte natürlich ein Ersatzmagazin dabei, vielleicht sogar mehrere.
    Während er die Waffe nachlud, machte er den Eindruck, als hätte er vor, der verhassten Zeitung zehn weitere Schüsse zu verpassen. Als das frische Magazin eingesetzt war, legte sich sein Zorn jedoch unversehens. Er brach in Tränen aus. Sein Körper wurde von kläglichen Schluchzern geschüttelt.
    Der Mörder sank auf seinen Stuhl und legte die Waffe weg. Er beugte sich über den Tisch, als wollte er die Seiten wieder zusammensetzen, die er zerfetzt und durchlöchert hatte, weil irgendeine darin enthaltene Geschichte ihm lieb und teuer war.
    Lorrie Lynn Hicks, die immer noch zitronig genug roch, um die vom Pulverdampf verpestete Luft zu versüßen, neigte mir den Kopf zu und flüsterte: »Siehst du? Er ist verwundbar!«
    Ich fragte mich, ob übertriebener Optimismus wohl als eine Form von Wahnsinn gelten konnte.
    Als ich ihr in die Augen blickte, erkannte ich wie vorher schon die Furcht, die sie eisern zurückdrängte. Sie zwinkerte.
    Ihr hartnäckiger Widerstand dagegen, von Entsetzen befallen zu werden, machte mir Angst, weil er mir so

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