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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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hatte fast den Eindruck, dass es Lorrie plötzlich Angst machte, an mich gefesselt zu sein, während der Mörder womöglich gerade zu dem Schluss kam, dass eine einzelne Geisel doch absolut ausreichend war.
    Die herabschwebende Spinne hing immer noch über unseren Köpfen, doch ihr Schatten auf dem Boden war kleiner geworden – so groß wie ein Salatteller – und nur noch leicht verschwommen.
    Zu meiner Überraschung bekam der Mörder feuchte Augen. »Das war unheimlich rührend«, sagte er, »das mit den Socken. So lieb.«
    Bei Lorrie hatte meine Sockengeschichte offenbar an keine sentimentale Ader gerührt, denn sie blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Du bist ein sehr glücklicher Mensch, Jimmy«, sagte der Mörder.
    »Das bin ich«, stimmte ich zu, obwohl mein einziges derzeitiges Glück – an Lorrie Lynn Hicks gekettet zu sein und nicht an einen müffelnden Penner – sich schon wieder verflüchtigte.
    »Eine fürsorgliche, liebevolle Mutter zu haben«, sinnierte der Mörder, »wie mag das wohl sein?«
    »Schön«, sagte ich, »das ist schön«, aber mehr zu äußern traute ich mich nicht.

    Die Spinne presste noch mehr Faden aus ihren Eingeweiden, bis sie schließlich direkt vor unseren Augen baumelte.
    Mit träumerischer Beredsamkeit sagte der Mörder: »Eine liebevolle Mutter zu haben, die dir jeden Abend einen heißen Kakao macht, dich ins Bett bringt, dir einen Kuss auf die Wange gibt, dir etwas vorliest …«
    Bevor ich lesen lernte, hat man mir vor dem Einschlafen tatsächlich meistens etwas vorgelesen, weil wir eine Familie von Bücherwürmern sind. Getan hat das allerdings im Normalfall meine Oma Rowena.
    Gelegentlich ging die Geschichte um ein Schneewittchen, dessen sieben Zwergenfreunde nacheinander durch tödliche Unfälle und Krankheiten zugrunde gingen, bis es schließlich mutterseelenallein gegen die böse Königin kämpfen musste. Dabei fällt mir ein, dass Happy einmal von einem zwei Tonnen schweren Safe erschlagen wurde, und das war noch kindgerechter als das, was dem armen Hatschi zustieß. Vielleicht las Oma auch von einem gewissen Aschenputtel vor, dem die gefährlichen Glasschuhe schmerzhaft am Fuß zersplitterten und das mit seiner Kürbiskutsche von der Straße abkam und in die Schlucht stürzte.
    Ich war schon erwachsen, als ich herausfand, dass in Arnold Lobels wunderhübschen Büchern von Frosch und Kröte keineswegs immer eine Szene vorkommt, in der irgendein Wald- oder Wiesentier einer der Titelfiguren einen Fuß abkaut.
    »Ich hatte keine liebevolle Mutter«, sagte der Mörder mit einer Stimme, in die sich ein beunruhigender Anflug von weinerlicher Trübsal schlich. »Meine Kindheit war hart, kalt und lieblos. «
    Nun kam es zu einer unerwarteten Wendung: Meine Furcht, erschossen zu werden, trat hinter die Angst zurück, der Mörder könnte uns mit der ellenlangen Litanei seiner schlimmen Kindheitserlebnisse terrorisieren. War er mit dem Kleiderhaken verprügelt
worden? Hatte man ihn gezwungen, bis zum sechsten Geburtstag Mädchenkleider zu tragen? Hatte man ihn ohne sein Grießbreichen ins Bett geschickt?
    Ich hätte mich nicht kidnappen, fesseln und mit einer Pistole bedrohen lassen müssen, um einem solchen Klagelied ausgeliefert zu sein. Dazu hätte ich einfach zu Hause bleiben und eine der Nachmittagstalkshows einschalten können.
    Glücklicherweise biss der Mörder sich auf die Lippe, richtete sich auf und sagte: »Es ist reine Zeitvergeudung, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Vorbei ist vorbei.«
    Un glücklicherweise trat an die Stelle des feucht schimmernden Selbstmitleids in seinen Augen nicht sein charmantes Zwinkern, sondern ein fanatisches Funkeln.
    Die Spinne hatte sich nicht weiter herabgelassen; sie hing immer noch vor unseren Gesichtern. Vielleicht war sie bei unserem Anblick vor Angst erstarrt.
    Wie ein Winzer, der eine Traube vom Rebstock pflückt, ergriff der Mörder die fette Spinne mit Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand, zerquetschte sie und führte die kläglichen Überreste an seine Nase, um den Duft zu schnuppern.
    Ich hoffte, dass er mir nicht anbot, ebenfalls zu schnuppern. Ich habe nämlich einen stark verfeinerten Geruchssinn, einer der Gründe dafür, dass ich ein geborener Bäcker bin.
    Glücklicherweise hatte er nicht die Absicht, den berauschenden Duft mit jemand anderem zu teilen.
    Un glücklicherweise führte er den Kadaver an den Mund und leckte vorsichtig daran. Er kostete die seltsame Frucht, kam zu dem Schluss,

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