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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Dokuments zu beaufsichtigen.
    War man jedoch eine Person, die grundlos Bibliothekare erschoss, so brauchte einen die übliche Vorgehensweise nicht zu kümmern. Der Irre wühlte also einfach in den Archiven und schleppte alles, was er haben wollte, zu einem Arbeitstisch. Er behandelte die vergilbten Zeitungen mit so wenig Rücksicht auf ihre Erhaltung, als handelte es sich um die neueste Ausgabe eines Boulevardblatts.

    Lorrie Lynn Hicks und mich hatte er auf zwei Stühle platziert, die sich am Ende des riesigen Raums befanden, in dem er arbeitete. Wir waren nicht nahe genug, um zu sehen, welche Artikel in der Gazette ihn interessierten.
    Wir saßen unter einem Tonnengewölbe mit einer Doppelreihe von Deckenflutern, deren trübes Licht aus einer Zeit stammte, in der man die Elektrizität als Neuigkeit empfand und sich noch an eine Kindheit im Schein von Öllampen erinnerte.
    Mit einem zweiten Paar Handschellen hatte der Geiselnehmer unsere Fesseln mit der Lehne eines der Stühle verbunden, auf denen wir thronten.
    Weil sich nicht alle Teile des Archivs im selben Raum befanden, suchte er wiederholt das Nebenzimmer auf, wodurch wir gelegentlich allein waren. Seine Abwesenheit bot uns allerdings keine Chance zur Flucht. Zum einen waren wir zusammengekettet, und zum anderen hätten wir einen Stuhl hinter uns hergezogen, wodurch wir uns weder rasch noch leise bewegen konnten.
    »Hör mal«, flüsterte Lorrie, »wenn wir hier schon aneinander gefesselt sind, könnten wir uns eigentlich auch duzen.«
    »Gern«, sagte ich beglückt.
    »Ich will dir nämlich was verraten: In meiner Handtasche ist eine Nagelfeile.«
    Ich warf einen Blick auf ihre gefesselte Hand neben meiner. Eine starke und doch anmutige Hand. Elegante Finger. »Deine Nägel sehen doch sehr hübsch aus«, beruhigte ich sie.
    »Ernsthaft?«
    »Absolut. Ich mag die Farbe deines Nagellacks. Sieht aus wie kandierte Kirschen.«
    »Er heißt Glaçage de Framboise .«
    »Dann ist er falsch benannt. Keine der Himbeeren, mit denen ich je gearbeitet habe, hatte einen solchen Farbton.«

    »Du arbeitest mit Himbeeren?«
    »Ich bin Bäcker und lasse mich gerade zum Konditor ausbilden. «
    Sie klang ein wenig enttäuscht. »Du siehst gefährlicher aus als ein Konditor.«
    »Na ja, ich bin ein wenig kräftig für meine Größe.«
    »Du meinst, es liegt daran?«
    »Außerdem haben Bäcker meistens starke Hände.«
    »Nein«, sagte sie, »es sind deine Augen. In denen liegt etwas Gefährliches.«
    Das war die Erfüllung eines pubertären Wunsches in Reinform – von einer wunderschönen Frau bestätigt zu bekommen, man habe gefährliche Augen.
    »Sie sind geradeheraus und haben einen hübschen Blauton«, fuhr sie fort, »aber es ist auch irgendwie etwas Irres in ihnen.«
    Irre Augen sind gefährliche Augen, wohl wahr, aber nicht auf romantische Weise gefährlich. James Bond hat gefährliche Augen. Charles Manson hat irre Augen. Charles Manson, Osama bin Laden, Wile E. Coyote. Für James Bond stehen die Frauen Schlange, aber mit Wile E. Coyote geht nie eine aus.
    »Die Nagelfeile in meiner Handtasche habe ich erwähnt, weil es sich um eine Metallfeile handelt, die am einen Ende scharf genug ist, um als Waffe zu dienen«, sagte Lorrie.
    »Aha.« Ich kam mir dämlich vor, was ich nicht vollständig auf Lorries verdummend gutes Aussehen schieben konnte. »Er hat deine Handtasche mitgenommen«, bemerkte ich.
    »Vielleicht kann ich sie wiederbekommen.«
    Ihre Handtasche stand auf dem Tisch, an dem der Geiselnehmer saß und alte Ausgaben der Snow County Gazette studierte.
    Wenn er das nächste Mal den Raum verließ, konnten wir uns so weit aufrichten, wie es ein Stuhl am Rücken zuließ, um im Tandem und so schnell wie möglich auf Lorries Handtasche zuzuhoppeln.
Freilich würde der Lärm den Mörder wahrscheinlich anlocken, bevor wir unser Ziel erreichten.
    Eine andere Möglichkeit bestand darin, den Raum möglichst verstohlen zu durchqueren, was erforderte, dass wir uns so langsam bewegten wie siamesische Zwillinge, die ein Minenfeld überwanden. Nach dem durchschnittlichen Zeitraum zu urteilen, den der Mörder bisher draußen gewesen war, um weitere Zeitungsausgaben aus dem Archiv zu holen, würden wir aber auch so die Handtasche nicht erreichen, bevor er zurückkehrte.
    Offenbar sah Lorrie meine Gedanken so klar wie den angeblichen Irrsinn in meinen Augen, denn sie sagte: »So hab ich mir das natürlich nicht vorgestellt. Ich glaube, wenn ich etwas von einem weiblichen Notfall

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