Traumfabrik Harvard
amerikanisch« an den
Spielregeln, an denen sich Elite-Unis wie Harvard & Co und mehr als 2.000 andere Hochschulen orientieren? Welche Themen stehen
in den USA im Vordergrund, wenn über Hochschulen berichtet und diskutiert wird, und was besagt das über deren Rolle und Akzeptanz
in der Gesellschaft?
Unsere
tour d’horizon
durch die amerikanische Hochschullandschaft sollte den Stoff für ein dichtes Breitwandpanorama liefern, das seine Farben aus
der Kontrastfolie des Vergleichs gewinnt. Enthüllungsgeschichten über den falschen Glamour amerikanischer Hochschulen oder
Patentrezepte für eine Schnellreparatur der deutschen Universität hatten wir nicht versprochen. Der Blick hinter die Kulissen
der Traumfabrik sollte im Gegenteil deutlich machen, dass es keine einfache Antwort auf die Frage gibt, welches System besser
ist oder ob die Hochschulen in den USA ein Modell für die deutschen sein können: Erstens haben sie dafür selber zu viele Probleme
(wenn auch andere als die deutschen) und zweitens lassen sich einzelne Elemente aus dem verwirrenden »higher education puzzle«
(Calhoun 2006) in Amerika auch nicht einfach nach Deutschland verpflanzen, weil sie Teil eines viel komplexeren
setting
und einer besonderen Kultur |228| sind. Mit mangelnden Ressourcen, Willen oder Können hat das ebenso wenig zu tun wie mit dem bekanntlich unterschiedlichen
Geschmack von Amerikanern und Deutschen.
Heißt das nun, dass man von Amerika nichts lernen kann, nicht einmal siegen? Das kommt ganz darauf an, wonach man sucht. Unsere
Exkursion wollte zunächst nur die Fremdartigkeit der amerikanischen Hochschulwelt herausstellen und begreifen helfen. Die
wichtigste Lektion ist somit zunächst die, »dass das eigene Hochschulsystem auch anders sein könnte, als es ist« (Weiler 2004:
26). Die Spielregeln machen den Unterschied. Aber der Blick auf Amerika erlaubt auch einen neuen Blick
zurück
auf das deutsche Hochschulwesen.
Viele Unterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Hochschulen sind schon so oft hin und her gewendet worden, dass diese
»alten Hüte« hier nicht noch einmal extra gewürdigt werden müssen. Das gilt mit Sicherheit für die große Zahl und wichtige
Rolle privater Hochschulen in den USA, für die hohen Studiengebühren und das scharfe Qualitätsgefälle zwischen Elite-Hochschulen
und anderen, für die riesigen Vermögen mancher Hochschulen und das blühende private Sponsoring – aber natürlich auch für Spitzenforschung,
Spitzenverdienste und Spitzenprofessoren. Eine Reihe weiterer Eigentümlichkeiten bringt es zwar seltener in die Schlagzeilen,
kann aber ebenfalls als bekannt gelten: die Organisation des Studiums in eine vierjährige Bachelorausbildung als obligatorische
Vorstufe für
professional studies
und wissenschaftliche Vertiefungsstudien; ein starker
community spirit
, der sich am prägnantesten in der engen, lebenslang anhaltenden Verbundenheit der Absolventen mit ihrer Hochschule ausdrückt;
flache Hierarchien in der akademischen Arbeit, großzügige Fördermöglichkeiten und flexible Karrierewege für junge Wissenschaftler;
geringe Regelungs- und Kontrollkompetenzen des Staates sowie schließlich und endlich die große Unübersichtlichkeit und institutionelle
Zersplitterung des gesamten Systems.
Diese Phänomene sind die sichtbaren Spitzen eines ganzen Eisbergs amerikanischer Eigenheiten. Viele andere bleiben eher unter
der Oberfläche und lassen sich nur in vergleichender Perspektive ermessen. Spitzenforschung, Studiengebühren und das Recht
der Hochschulen zur Auswahl ihrer Studenten sind Ausdrucksformen einer institutionellen Kultur, die viele weitere charakteristische
Merkmale umfasst. Um diese besondere Textur und diesen Nährboden geht es hier zu guter Letzt – um das Gesamtkunstwerk der
amerikanischen Hochschulen, für dessen Entschlüsselung |229| kulturelle
frames
(Erwing Goffman) und der politische Kontext wichtiger sind als harte Finanzdaten und Ausstattungsvergleiche.
In einer solchen Perspektive zeichnen sich sieben Spezifika der
American
higher education
ab, die wesentlich zu deren Leistungsvermögen und Attraktivität, Offenheit und Dynamik beitragen:
1.
Institutionelle Autonomie
: Amerikanische Hochschulen sind in dem, was sie tun und wie sie ihre Arbeit gestalten, ausgesprochen unkonventionell, elastisch
und unternehmungslustig. Zugleich haben und pflegen sie ein klares Bewusstsein ihrer »institutionellen
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