Traumfabrik Harvard
welche bedeutende Rolle sie für den amerikanischen Gesellschaftsvertrag besitzt.
Von einer stärkeren staatlichen Kontrolle erwartet niemand eine Lösung des vertrackten Spannungsverhältnisses zwischen
opportunity, equity
und individuellen
merits.
Stattdessen vertraut man auf die Findigkeit und das Eigeninteresse der Hochschulen, auf die Sogwirkung guter Lösungsansätze,
politischen Druck und den Markt, um die
higher education
zu verändern und schrittweise zu verbessern. Damit sind die USA bisher nicht schlecht gefahren, besser jedenfalls als England
und andere kontinentaleuropäische Länder, deren Regierungen Hochschulen als »low trust institutions« betrachten und mit immer
neuen Umbauplänen und politischen Ansinnen traktieren.
3.
Organisation und Führung:
Die institutionelle Autonomie amerikanischer Hochschulen (verstanden als die Fähigkeit und das Recht, selber über ihre Aufgaben,
Arbeitsweise und Organisationsformen zu entscheiden) kommt in zwei Markenzeichen ihres Führungssystems zum Ausdruck: einer
großen Machtfülle des Präsidenten und einem externen Aufsichtsrat, der dessen Geschäftsführung überwacht und begleitet, zugleich
aber auch die |233| Hochschule vor direkter Einflussnahme von außen schützt. Beide Merkmale machen sie als Organisation sehr viel handlungs- und
entscheidungsfähiger, als es deutsche Hochschulen traditionell waren und noch immer sind.
In jeder Hochschule besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und formaler Organisation, Disziplinen und Bürokratie,
akademischer Selbstverwaltung und Hochschulleitung. Je nachdem, welche der beiden Seiten schwerer wiegt, verläuft die Entscheidungsfindung
mal stärker
bottom-up
durch akademische Gremien (wie den Senat oder das Konzil) oder
top-down
durch die Geschäftsführung, das Hochschulmanagement. In der grauen Wirklichkeit kommt es meistens zu einer Mischung zwischen
diesen beiden Polen. Liegt der Primat bei der Selbstorganisation durch die Gelehrtenrepublik, fällt eine Verständigung über
strategische Ziele der Hochschule oftmals schwer, und die Handlungsfähigkeit der Organisation ist dementsprechend begrenzt.
Bis vor wenigen Jahren war genau das in Deutschland der Fall: Die klassische Dualität von akademischer Selbstverwaltung durch
Gremien und der staatlichen Eingriffsverwaltung durch die Ministerien, das »Kondominium« von Staat und Hochschule, sah für
Führung und Management einer Hochschule keinen rechten Platz vor.
In Amerika dagegen galten Hochschule und Management lange schon als miteinander vereinbare Welten, bevor das Wort »strategisches
Management« in aller Munde kam. Seit den 1960er Jahren versuchte man, die Hochschulwelt wissenschaftlich zu durchleuchten,
ihre Entwicklungsdynamik und Prozesse zu verstehen und das Hochschulmanagement durch spezielle Ausbildungsangebote zu professionalisieren.
Erfolge oder Misserfolge von Hochschulen rechnet man in erster Linie der Organisation zu, das heißt dem guten oder eben schlechten
Management. Hochschulpräsidenten sind keine
primi inter pares
mit kurzer Amtszeit und schmalen Befugnissen, sondern
academic leaders
. Führen kann man indes nur eine Organisation – eine Gelehrtenrepublik hat bestenfalls einen Sprecher. Unter dem Primat der
Organisation ist die Macht zwischen Wissenschaftlern und Hochschulleitung klar zugunsten letzterer verteilt. Das bedeutet
nun nicht, dass Präsidenten schalten und walten können, wie es ihnen beliebt. Gute
academic leadership
ist vielmehr die Kunst, die Interessen der Organisation »an sich selbst« mit denen der
faculty
zu vermitteln. Dazu gehört, Ziele, Prioritäten und gemeinsame Anliegen zu formulieren, eine Art institutionelles Selbstwertgefühl
zu pflegen und dieses überzeugend nach außen zu vertreten – kurz, Vertrauen aufzubauen und Beziehungen zu makeln. Da |234| das Binnenleben von Universitäten dank der widersprüchlichen Interessenlagen einzelner Fächer und Gruppen einer »organisierten
Anarchie« 97 gleicht, bedeutet das nicht selten eine herkuleische Aufgabe.
Seit Berichte über erfolgreiche Kurswechsel von maroden Einrichtungen in der amerikanischen Hochschulwelt die Runde machen,
sind Führungsqualitäten und Managementkompetenz gefragter denn je. Präsidenten, die sich als Sanierer hervorgetan haben, sind
heiß begehrt und werden von Personalberatern belagert. Manche werden inzwischen so fürstlich für ihre Dienste entlohnt, dass
sich
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