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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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in allen Angelegenheiten von grundsätzlicher und strategischer Bedeutung.
     Öffentliche Einrichtungen schirmt es darüber hinaus vor direkten Eingriffen und Steuerungsversuchen des Staates ab, ohne selbst
     an dessen Stelle zu treten oder dessen Funktionen zu übernehmen. Als Sachwalter der Hochschulinteressen sind die
boards
sowohl ein Ausdruck als auch ein Garant institutioneller Autonomie. In ihren Händen liegt deren weitere Entwicklung der Hochschule
     – sie ist ihnen buchstäblich anvertraut (»entrusted«). Ihre Mitglieder, die
trustees
, sind im selben Maße Advokaten und Lotsen der Hochschule wie deren Kontrolleure. Nach dem gängigen Verständnis sollten sie
     sich vom operativen Geschäft und Mikromanagement fernhalten, was aber faktisch nicht immer zu gelingen scheint. Im staatlichen
     Sektor, aber auch in vielen privaten Einrichtungen werden Aufgaben und Arbeitsweise der
boards
und ihr Verhältnis zu anderen Gremien und Organen der Hochschule durch Statuten geregelt. Welche Rolle ein
board
im Machtgefüge der Hochschule tatsächlich spielt, ob es akzeptiert oder misstrauisch beäugt wird, mit dem Präsidenten an einem
     Strang zieht oder einen Konfliktkurs steuert, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt.
    |221| Obwohl diese Aufsichtsräte eine prominente Rolle im amerikanischen Hochschulwesen spielen, sind sie von der sozialwissenschaftlichen
     Forschung bisher noch kaum wahrgenommen, geschweige denn untersucht worden. Was wir über sie wissen, ist nicht gerade viel.
     Es beruht auf Erhebungen von Interessenorganisationen wie der Association of Governing Boards of Universities and Colleges,
     auf Fallstudien zum strategischen Hochschulmanagement, einer Handvoll Artikel über den Hintergrund und das soziale Kapital
     von
trustees
sowie auf Presseberichten über hier und da aufflackernde politische Kontroversen zwischen einem
board
und dem Präsidenten einer Hochschule oder um die Besetzung vakanter Sitze. Ob sie den Weg einer Hochschule wirklich (mit)bestimmen
     oder nur die Vorschläge des Präsidenten abnicken, ob sie eine eigene Agenda haben und wenn ja, was für eine, ob sie eher bremsen
     oder Gas geben, ob sie sich für eine weitere »corporatization« der US-Hochschulwelt stark machen und ob trustee-Netzwerke
     dafür eine entscheidende Plattform sind oder sie die merkwürdigen Spielregeln des akademischen Wettbewerbs akzeptieren – all
     das lässt sich nicht beantworten. Aus den vorliegenden Daten gewinnen wir indes ein ziemlich genaues Bild von der Zusammensetzung
     der
boards
. Diese Informationen erlauben immerhin Rückschlüsse auf ihre Rolle für die Hochschulfinanzen, speziell beim
fundraising
, und ihre »Einbettung« in die Welt der Wirtschaft und des großen Geldes.
    Was die politischen Positionen der
boards
angeht, spiegelt sich in den Konflikten darum die jeweils aktuelle Großwetterlage wider: In den frühen 1970er Jahren gerieten
     sie zeitweilig stark ins Kreuzfeuer, weil viele Studenten und Bürgerrechts-Aktivisten in ihnen ein Bollwerk konservativer
     Kräfte und wirtschaftlicher Interessen erblickten. Das führte zu manchen Irritationen, hatte aber keine nachhaltigen Folgen.
     2005 starteten eifrige Vertreter »libertärer« Positionen einen Angriff von der anderen Seite: Mit organisierter Unterstützung
     von Alumni wollten sie Sitze im
board
von Harvard oder Dartmouth ergattern, um von dort aus für eine politische Wende in diesen ihrer Ansicht nach allzu liberalen
     Institutionen zu kämpfen und »ideologically biased courses on gender and race« aus den Curricula zu streichen: »The institutionalized
     leftism of elite academia is at absurd proportions now«, begründete Scott W. Johnson, ein Dartmouth-Alumnus und Anwalt mit
     einem eigenen
blog
, seine Aktion (
Chronicle
, 10.3.2006, A 25f). Der Kulturkrieg, den einige Kommentatoren heraufziehen sahen, blieb indes aus, weil diese vom American
     Council of Trustees |222| and Alumni (ACTA) gesteuerte Revolte nicht den gewünschten Schwung bekam. 94
    Nach dem Wenigen, was wir über die Arbeit der
boards
wissen, ist auch nicht viel dran an dem »clash of cultures« zwischen den mehrheitlich aus der Geschäftswelt kommenden
trustees
und der Hochschulwelt, wie er gelegentlich an die Wand gemalt wird. Wenn es Streitigkeiten gibt, haben diese meist einen handfesten
     Hintergrund und können in der Regel rasch beigelegt werden. Dass
boards
gegen den Willen der
faculty
einen Kurswechsel im wissenschaftlichen Programm einer

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