Traumfabrik Harvard
speziell
higher education
wahre Wunderdinge erwartet, darf man nicht unterschätzen. Das »educational gospel« (Grubb/Lazerson 2004) der amerikanischen
Gesellschaft weist den Hochschulen neben einem staatsbürgerlichen Bildungsauftrag eine Fülle praktisch-politischer Zwecke
zu. Sie sind Maschinen der
opportunity
, Produktionsstätten |231| für hoch geschätzte Fertigkeiten und Kompetenzen, Tempel der Forschung und des Erfindungsgeistes, aber auch Orte für die Selbstbeobachtung
und Verständigung der Gesellschaft über politische und ethische Grundsatzfragen – kurzum eine »basic institutional domain
in modern American society« (Calhoun 2006: 10). Im College übt und bildet sich die Zivilgesellschaft amerikanischer Prägung
in einem gemeinsamen Weltverständnis. Im noch immer springlebendigen
American dream
vom individuellen Aufstieg durch Talent und Tüchtigkeit weist es jedes Jahr Millionen von Highschool-Absolventen den Weg in
vielversprechende berufliche und gesellschaftliche Positionen. Es ist eine Ikone der hoch geschätzten
middle class culture
und steht für soziale Teilhabeverheißungen, Aufbruch und Selbstverantwortung. Viele Eigenheiten der amerikanischen Hochschulwelt
verdanken sich diesem Skript, dessen Text und Ton sich von dem in Deutschland vorherrschenden scharf unterscheiden, wo für
ein starkes Selbstbewusstein der Hochschulen zwischen Aufgabenzuschreibungen durch den Staat und einem fundamentalistischen
Verständnis davon, was eine Universität zu sein habe, nur wenig Raum bleibt.
Während öffentliche Sekundarschulen in den USA als wenig leistungsfähig gelten und unter einem schlechten Image zu leiden
haben, sind Hochschulen dort »high trust institutions«. Das spiegelt sich bereits in der rechtlichen Konstruktion öffentlicher
Einrichtungen wider. So definierte die kalifornische Verfassung von 1879 Colleges und Universitäten als »public trust«, und
den
boards
öffentlicher Hochschulen wird deren Führung typischerweise vom Gesetzgeber anvertraut (»entrusted«). Auch die große Bereitwilligkeit,
für ein Studium sehr viel Geld zu bezahlen, zeugt von einer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz. Daran ändert nichts, dass
im hemdsärmeligen Pragmatismus der amerikanischen Leitkultur
academics
und Wissenschaft keine besondere Wertschätzung genießen. Obwohl die Einzelstaaten ihre institutionelle Grundfinanzierung der
Hochschulen stark zurückgefahren haben, unterstützt die öffentliche Hand deren Arbeit immer noch mit beachtlichen Summen,
und dank der großen Spendenbereitschaft privater Mäzene und Stiftungen verfügen viele Einrichtungen über finanzielle Ressourcen,
von denen deutsche Einrichtungen nur träumen können.
Der positive, wohlwollende Grundtenor färbt auch auf die Umgangsformen und den
spirit
in den einzelnen Hochschulen ab. Jedenfalls korrespondiert der freundlich formlose Ton auf ihren Fluren vorzüglich mit der
optimistischen Einstellung, die man in Amerika überall gern zur Schau |232| stellt. Gibt es so etwas wie einen gefühlten Unterschied zwischen den Hochschulkulturen diesseits und jenseits des Atlantik,
dann ist er an diesem Punkt besonders groß. Manch deutscher Gastdozent hat seine liebe Mühe damit zu begreifen, dass er einen
Vortrag oder Text erst dann kritisieren darf, nachdem er ihn ausdrücklich gelobt hat, und dass es als ausgesprochen unhöflich
gilt, nach diesem Vorspruch gleich mit einem gewichtigen »but« fortzufahren. Ist es in Amerika selbstverständlich, Studenten
zu bestärken und anzuspornen, bevor man auf Fehler hinweist und Unzulänglichkeiten kritisiert, wollen Respekt und Lob in Europa
erst durch besondere Leistungen verdient sein. Setzt man hier auf ein pädagogisches Eros des
per aspera ad astras
und auf die Peitsche harten Bewährungsdrucks, vetraut man in Amerika auf das Zuckerbrot persönlicher Ermutigung. Dabei sollte
man sich von der lockeren amerikanischen Art nicht täuschen lassen: Der Konkurrenzdruck unter Studenten und Wissenschaftlern
ist in den USA mindestens ebenso groß, wenn nicht größer als im deutschen Universitätssystem.
Obwohl die ausufernden Kosten einer Collegeausbildung viel Kritik hervorrufen, kann von einer tief greifenden Legitimations-
oder Ansehenskrise der
higher education
in den USA nicht die Rede sein. Die vielen engagierten Debatten um ihre Bezahlbarkeit und um die Sicherung gleicher Zugangschancen
für alle Bürger illustriert im Gegenteil nur,
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