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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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finanzielle Vielfalt und Unabhängigkeit allerdings zweifellos dazu.
     
    5.
Equity and excellence:
Die erstaunlichste Begleiterscheinung der programmatischen Differenzierung und institutionellen Vielfalt in der amerikanischen
     Hochschullandschaft ist die friedliche Koexistenz von Elite- und |236| Massenhochschulen
.
Die Legitimität von Elite-Unis steht außer Frage, sofern sie den meritokratischen Ansprüchen, die sie vor sich her tragen,
     gerecht werden. In ihren Selbstbeschreibungen setzt sich die amerikanische Gesellschaft stark vom Wohlfahrtsstaat europäischer
     Prägung ab: Sie hält wenig von distributiver Gerechtigkeit, sondern singt das Hohelied von
opportunity
und individueller Tüchtigkeit. Das bringt die Hochschulen dort in eine schwierige Schlüsselposition. Denn einerseits sollen
     sie
opportunities
bieten, andererseits aber soziale Unterschiede durch Bildungsatteste legitimieren, das heißt sowohl Nivellierungs- als auch
     Differenzierungsmaschinen sein. Damit wird die Frage, warum Angehörige unterer sozialer Schichten und ethnischer Minderheiten
     nur schwer Zugang zu den Elite-Hochschulen finden und was getan werden kann, um das zu ändern, zu einem Dauerthema bildungspolitischer
     Kommentare und Debatten.
    Doch obwohl Harvard & Co den Vorstellungsraum für amerikanische Hochschulen so prominent besetzen, füllen sie ihn nur zum
     Teil aus. Zur grauen amerikanischen Hochschulwirklichkeit wie zur Imagination einer rastlosen, offenen Gesellschaft gehören
     vielmehr ganz zentral die vielen hundert namenlosen Universitäten und Colleges, an denen die Mehrzahl der Studenten einen
     Weg in die
middle classes
sucht. Auch die Community Colleges nehmen mit ihrer
open access
Politik einen wichtigen Platz in diesem pastösen Tableau ein – als Zubringer für das Studium an einer
4-year
institution
, als Volkshochschulen und Berufsakademien.
College for all
, der Schlachtruf einer emphatischen Kampagne zur Modernisierung der US-Gesellschaft auf dem Höhepunkt ökonomischer Prosperität
     und des Vietnamkrieges, bedeutet eben nicht zwingend dieselbe Art und Qualität von Ausbildung für alle und jeden Studenten,
     sondern, ähnlich wie in den Bildungsreformen der 1970er Jahre in Europa, allen Bürgern gleiche Zugangschancen und bestmögliche
     Förderung zu bieten.
    Staatliche Initiativen waren die wichtigste Triebfeder für die Expansion und soziale Öffnung der amerikanischen Hochschulen.
     Angefangen vom Morrill Act 1862 über den GI-Bill von 1944 bis zum Higher Education Act von 1972 haben sie das verwirrende
     Kaleidoskop privater Einrichtungen ergänzt, die aus religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Motiven enstanden und ihren
     Platz auf dem Markt suchten. Sie haben die Hochschulausbildung in gewisser Weise normalisiert und standardisiert, doch weder
     flächendeckend durchreguliert noch entscheidende inhaltliche oder strukturelle Reformen bewirkt. Sie haben geholfen, diese
     zugänglicher zu machen, aber das Muster programmatischer Differenzierung, wie es sich im |237| privaten Sektor entwickelt hatte, nicht erschüttert, sondern sogar nachgeahmt. Allerdings haben sie dabei versucht,
equity
mit
excellence
zu verbinden, die inhärente Spannung zwischen beiden Ansprüchen durch Verfahren abzuarbeiten und mit exzellenten staatlichen
flagship institutions
der Elite-Bildung den Nimbus sozialer Exklusivität zu nehmen. Das ist ihnen, wie wir sahen, bestenfalls nur teilweise gelungen.
     Seit Mitte der 1980er Jahre hat die »Verschichtung« im amerikanischen Hochschulsystem so stark zugenommen, dass man fast schon
     von »Parallelwelten« sprechen kann, und der Abstand zwischen privaten und staatlich unterstützten Top-Universitäten wird von
     Jahr zu Jahr größer.
    Gleichwohl gilt auch hier wieder kein Entweder-oder, sondern vielmehr ein Sowohl-als-auch:
Mass higher education
und Elitebildung schließen einander nicht aus. Beide umfassen einen breiten Fächer unterschiedlicher Formen, Inhalte und Niveaus.
     Entwicklungsdynamik und Entwicklungsmuster der Hochschulausbildung sind in den letzten Jahren – allem Medienrummel zum Trotz
     – allerdings viel weniger durch die obsessive Spannung zwischen diesen beiden Segmenten geprägt worden als durch zwei Phänomene
     im Massenmarkt: erstens das enorme Wachstum der
2-year institutions
und zweitens den rasanten Aufstieg kommerzieller Hochschulen, deren Klientel überwiegend aus sozial schwachen Gruppen und
     ethnischen Minderheiten

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