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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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über der Küste
     von Rhode Island, weil solche Statusattribute in ihren Kreisen längst selbstverständlich waren. Andere unternehmerische Geister
     taten es ihnen nach, gründeten und förderten Hochschulen für höchst unterschiedliche Zwecke und Anliegen. Damit gingen strukturelle
     Reformen einher, deren Schrittmacherfunktion und Tragweite man kaum unterschätzen kann. Wenn »die« amerikanische Universität
     und »das« College in den beiden Jahrzehnten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ihre charakteristische Aufgabe und organisatorische
     Gestalt finden konnten, war das im Wesentlichen das Verdienst privater Institutionen.
    Worum ging es bei diesen Weichenstellungen? Eigentlich handelte es sich um zwei Entwicklungen, die unabhängig voneinander
     begannen, sich aber wechselseitig verstärkten und hervorragend ergänzten. Phänomene wie die
American university
und die Institution einer
faculty of arts and sciences
verdanken sich dieser Parallelaktion. Das erste steht für einen Typ von Hochschule, der über eine wissenschaftlich orientierte
     Grundbildung im College der Forschung nachgehen sollte – ein Novum in einer Hochschullandschaft, in der bis dahin reine Lehranstalten
     dominierten. Die zweite Veränderung betraf das Innenleben akademischer Institutionen. Auf den ersten Blick weniger spektakulär,
     wogen ihre Langzeitfolgen umso schwerer. Das traditionelle amerikanische College, genauer gesagt sein Curriculum, wurde zum
     Unterbau der
American university,
zur obligatorischen ersten Stufe für alle weiteren fachwissenschaftlichen oder berufsbezogenen Studien in separaten
graduate
beziehungsweise
professional schools
.
    Selbst die Begriffe
college
und
university
bekamen in den 1880er Jahren etwas schärfere Konturen, auch wenn das von einer allgemeinverbindlichen Definition noch weit
     entfernt blieb. Zuvor hatten sie frei flottiert. Viele Hochschulen, die sich
university
nannten, waren lediglich kleine, biedere Colleges ohne irgendeinen wissenschaftlichen Anspruch und Ehrgeiz. Andere wie das
     Boston College, das sich schon bald nach seiner Gründung 1863 zu einer voll ausgewachsenen jesuitischen Universität gemausert
     hatte, behielten ihren Namen – das BC übrigens bis heute. Um 1900 bürgerte es sich jedoch allmählich ein, als
university
nur solche Hochschulen zu bezeichnen, die nicht nur
undergraduates
ausbildeten – und zwar unabhängig davon, ob sie in der Forschung aktiv waren oder nicht. Dagegen stellt die |55| Unterscheidung zwischen Forschungsuniversitäten und Lehrhochschulen bis heute keine wichtige Demarkationslinie in der amerikanischen
     Hochschullandschaft dar –
university
meint nicht unbedingt auch Forschungseinrichtung, während umgekehrt die Bezeichnung einer Einrichtung als
college
nicht bedeutet, dass dort nicht geforscht wird. Was eine
research university
von anderen unterscheidet, ist kein gesetzlicher Auftrag oder verbürgerter Status, sondern schlicht die Breite und Intensität
     der dort geleisteten Doktorandenausbildung.
    Das mag überraschen. Immerhin hatte die amerikanische Hochschulwelt das weithin bewunderte deutsche Modell einer modernen
     Universität für sich entdeckt und bemühte sich, ihm nachzueifern. Forschung lautete das Gebot der neuen Zeit. Die Gründung
     der Johns Hopkins University (JHU) in Baltimore im Jahre 1876, explizit dem deutschen Vorbild nachempfunden, bildete dafür
     einen wichtigen Meilenstein. Als erste einer ganzen Reihe neuer Hochschulen entstand sie auf Grund einer riesigen privaten
     Spende, der bis dahin größten überhaupt. Als erste Hochschule in den USA verstand sie sich eindeutig als eine Forschungsuniversität,
     in der nicht nur Vorlesungen stattfanden, sondern auch in Seminaren gelehrt wurde. Und nachdem sie zunächst nur medizinische
     Studien angeboten und Ärzte ausgebildet hatte, aber kein
undergraduate
College führte, machte die JHU schließlich auch in diesem Bereich von sich reden, als sie als erste amerikanische Hochschule
     das in den meisten anderen nach wie vor kanonische Curriculum aufgab und ihre Studenten eine Studienrichtung – einen
major
– wählen ließ.
    Viele Hochschulen, die etwas auf sich hielten, bewegten sich in eine ähnliche Richtung und entdeckten ihr Herz für die Forschung
     sowie für die Doktorandenausbildung. Ambitionierten Einrichtungen blieb auch wenig anderes übrig. Hatte eine damit angefangen,
     wurden die alten Rangordnungen fragwürdig und die Karten im Wettbewerb neu gemischt.

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