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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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erwarteten. Lange bevor die Einzelstaaten Mindestanforderungen für den Highschool-Abschluss erließen, gelang es
     Colleges und Universitäten, ihre Vorstellungen in den Schulen zur Geltung zu bringen und eine gewisse Vereinheitlichung der
     Curricula zu erreichen. Als Universitäten wie Ann Arbor und Berkeley in den 1880er Jahren den Schulen in ihrem Umfeld signalisierten,
     dass sie bestimmte Kurse als Zulassungsvoraussetzung verlangen und sogar formal kreditieren würden, war eine Vorform des heutigen
     HSD geboren worden
.
    Aber nicht alles in der Neuen Welt verlief
bottom up
, schrittweise und inkrementalistisch. Der entscheidende Impuls, der die sektiererischen Colleges der kolonialen Zeit und
     frühen Republik in sozial offene, wissenschaftsorientierte Institutionen verwandelte, kam vom Staat, genauer gesagt vom amerikanischen
     Kongress. Mit dem von Präsident Abraham Lincoln im Juli 1862 unterzeichneten »Morrill Land-Grant Act« – so benannt nach seinem
     Urheber, dem Abgeordneten Justin Smith Morrill – übertrug der Bund Ländereien von der Größe der Schweiz oder Hollands aus
     seinem Besitz an die Einzelstaaten. Für jeden Senator und Abgeordneten im Repräsentantenhaus, deren Zahl die der jeweiligen
     Bevölkerung reflektiert, erhielt ein Staat 30.000
acres
(121 km 2 ) zugeprochen, um aus den Erträgen dieser Schenkung innerhalb der darauffolgenden fünf Jahre mindestens eine höhere Lehranstalt
     zu errichten und dauerhaft zu betreiben. Waren zunächst nur die Staaten der Union bedacht worden, dehnte eine |53| Novelle den Geltungsbereich des Gesetzes 1869 auch auf die Südstaaten aus. Einer weiteren Novelle von 1890 verdanken viele
     der »Historically Black Colleges and Universities« (HBCUs) ihre Existenz. Mit der Schenkung war die Auflage verbunden, dass
     sich wenigstens eine dieser
land-grant
institutions
* in jedem bedachten Staat dem Militärwesen, der Landwirtschaft und Ingenieurkunst (
mechanical arts
) widmen sollte, praktischen und für die weitere Entwicklung des Landes wichtigen Gebiete, die bis dahin an den Hochschulen
     kaum eine Rolle spielten.
    Obwohl der Bund keinerlei Regulierungs- oder Kontrollkompetenzen für die
higher education
erhielt und obwohl die erhoffte Nachfrage nach den nützlichen Studien nur sehr langsam in Gang kam, markiert der Morrill Act
     eine zentrale Wegmarke in der amerikanischen Hochschulentwicklung. Erstens wurde damit eine durch und durch utilitaristische
     Sichtweise von den Zielen und Aufgaben eines College hoffähig. Zweitens erhielt die über lange Zeit strittige Grundsatzfrage,
     ob Hochschulen aus öffentlichen Kassen finanziert oder gefördert werden sollten oder nicht, eine neue Wendung. Fortan galt
     als ausgemacht, dass sie einen »public service« leisten, wenngleich nicht als Hauptzweck. Und drittens legte das Gesetz den
     Grundstein für viele der heute hoch angesehenen öffentlichen Universitäten. 36 Staaten nutzten die Starthilfe des Bundes,
     um innerhalb von nur neun Jahren mehr als 100
land grand institutions
zu gründen. Darunter befanden sich die Vorläufer renommierter Universitäten wie der von Illinois in Urbana-Champain, der University
     of Connecticut oder der superreichen Texas A&M University. Selbst private Elite-Unis wie das MIT oder Cornell verdanken einzelne
     ihrer Abteilungen solchen ehemals öffentlichen Anstalten.
    Trotz dieser massiven staatlichen Förderung gaben private Einrichtungen noch bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen
     Hochschulszene den Ton und Takt an. Dass der Staat mit prallen Kassen, klaren Interessen und knallharten Forderungen mitmischte,
     machte sie weder randständig noch belanglos. Im Gegenteil: Das halbe Jahrhundert zwischen dem Ende des Bürgerkrieges und dem
     Beginn des Ersten Weltkrieges war eine Blütezeit privater Initiativen, die viele einflussreiche und folgenreiche Reformprojekte
     auf den Weg brachten. Bis 1939 blieben fast 80 Prozent der Hochschulneugründungen privat. Milliardäre des
Gilded Age
wie Carnegie, Vanderbilt und Rockefeller wetteiferten darin, Universitäten zu stiften, weil sie damit ihre Großzügigkeit und
     Aufgeschlossenheit gegenüber der gelehrten Welt und den wissenschaftlichen Neuerungen zur |54| Schau stellen wollten, die eine große Zukunft versprachen. Mit einer Universität, die ihren Namen trug, verschafften sich
     diese
tycoons
mehr öffentliche Beachtung als mit riesigen Yachten und traumhaften Anwesen am Hudson River oder in Newport

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