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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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knüpfen und einen gewissen kulturellen Schliff erwerben sollten. Dafür mussten sie nicht unbedingt tief in die Wissenschaften
     hineintauchen. Es reichte, wenn sie in dieser Art ziviler Kadettenanstalt »leadership« und die feinen Unterschiede zwischen
     ihrer Welt und der anderen verstehen lernten.
Electives
und
concentrations
erlaubten immerhin eine gewisse Spezialisierung und die gezielte Vorbereitung auf
professional studies
im Anschluss ans College, falls das gewünscht wurde
.
Eine rigorose
liberal education
und stärkere Berufsorientierung, so lautete die Botschaft, schlossen einander nicht aus, sondern ergänzten sich trefflich.
    Auch die meisten öffentlichen
land grant institutions
blieben über viele Jahrzehnte einer ähnlichen
mission
verpflichtet. Auch sie verstanden sich nicht als polytechnische Bildungsanstalten, sondern huldigten denselben Bildungsvorstellungen
     wie die privaten
research universities
oder
liberal arts
colleges.
Das machte sie für die sozialen Eliten Neuenglands aber noch lange nicht salonfähig. Sie übergaben ihre Sprößlinge weiterhin
     der Obhut privater Einrichtungen. Da auch andere soziale Schichten und Gruppen den erwerbswirtschaftlich orientierten Studienangeboten
     zunächst weit weniger stark zusprachen, als es die Baumeister der neuen staatlichen Hochschulen gehofft hatten, gewann eine
     instrumentelle Sichtweise erst viel später Oberwasser: Die endgültige Wende trat eigentlich erst in den 1970er Jahren ein,
     als sich erstmals eine klare Mehrheit der
undergraduates
für berufsorientierte |63|
majors
entschied und die einst tonangebenden
arts and sciences
eher randständig wurden.
    Mit der Abschaffung des standardisierten College-Curriculum zugunsten individualisierter, menügesteuerter Studienverläufe
     ging eine weitere folgenschwere Veränderung einher: In den 1860er Jahren begannen Universitäten wie Yale und Harvard damit,
     talentierte Studenten zum Ph.D. (»Philosophiae Doctor«) zu promovieren. Im Unterschied zum medizinischen und juristischen
     Doktorgrad (M.D. und J.D.), der bis heute jedem Absolventen eines entsprechenden Studiums zusteht, hob der Ph.D
.
von Anfang an auf eine individuelle wissenschaftliche Leistung ab – zunächst eine Disputation, ein gelehrtes Streitgespräch
     in der Tradition der mittelalterlichen Universität, später eine eigenständige Doktorarbeit (»Ph.D. thesis«). Im Zuge ihrer
     Verwissenschaftlichung gingen immer mehr Universitäten dazu über, ihr normales Studienprogramm um spezielle
graduate studies
zu erweitern – strukturierte Studienangebote für Absolventen des College, die entweder zum Erwerb eines Master-Titels oder
     zur Promotion führten. Meistens bezogen sie sich auf eine einzelne Disziplin, deren Professoren sie als Fachvertreter verantworteten
     und lehrten. In dieser Zuspitzung spiegelten sich die massiven Veränderungen, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts in der
     Topographie der Wissenschaften vollzogen – nämlich eine fortschreitende Spezialisierung der Wissenschaftler und Ausdifferenzierung
     selbständiger Einzeldisziplinen, die schnell in immer weitere Subdisziplinen zersplitterten.
    Graduate studies
dokumentierten aber nicht allein eine Professionalisierung der Forschung, sondern revolutionierten die Arbeit und Organisation
     der Hochschulen, die sich nun als wissenschaftsgeleitete Einrichtungen definierten. Junge Männer, die Wissenschaft zu ihrem
     Beruf machen wollten, waren bis dahin auf die persönliche Beziehung zu einem »Meister« des Faches angewiesen, der sie anlernte
     und in die akademische Welt einführte. Als »Schüler« blieben sie diesem »akademischen Lehrer« ihr ganzes Leben lang verpflichtet.
     Mit den
graduate studies
trat ein formalisiertes Forschungstraining an die Stelle solch individueller Lehrer-Schüler-Beziehungen und persönlicher Abhängigkeiten.
     Indem sie die institutionelle Verantwortung für die Ausbildung des »wissenschaftlichen Nachwuchses« übernahmen, bekamen die
     Hochschulen einen Schlüssel zur Gestaltung der Forschung und ihrer eigenen Zukunft in die Hand. Darüber hinaus veränderten
     sich mit den
graduate studies
die einzelwissenschaftlichen Disziplinen. Traten diese bis dahin nur in Vereinigungen und Akademien organisatorisch in |64| Erscheinung, wurden sie nun innerhalb der Hochschulen sichtbar. Mit den
graduate studies
und den sie tragenden
departments*
erhielten sie einen institutionellen Ort, einen Heimathafen, der nicht nur das gesamte

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