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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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»wissenschaftliche Feld« im Sinne Pierre
     Bourdieus neu strukturierte, sondern auch den Bauplan für eine neue Art von Universität lieferte – eben die
American
university:
»The modern American university […] is not Oxford nor is it Berlin; it is a new type of institution in the world. […] It is
     unique.« (Kerr 2003: 1)
    Beide Entwicklungen – die Modernisierung und inhaltliche Anreicherung der Collegeerziehung und die Professionalisierung wissenschaftlicher
     Arbeit in den Disziplinen – befeuerten sich wechselseitig: Denn um ihre Curricula fachlich auffächern und ihre Studenten mit
     neuen wissenschaftlichen Denkweisen, Erkenntnissen und Methoden bekannt machen zu können, brauchten die Hochschulen Dozenten,
     die in der Wissenschaft bewandert und in der Forschung ausgewiesen waren. Während sich also die Anforderungen an den Beruf
     des Hochschullehrers veränderten, brachten die
graduate programs
immer mehr Absolventen hervor, die diesen bestens entsprachen. So entfachten das
elective system, graduate studies
und der Wettbewerb zwischen den Hochschulen eine Dynamik, die einerseits die Nachfrage nach Professoren anregte und andererseits
     dafür sorgte, dass diese auch befriedigt werden konnte. Wie stark dieser »Verwissenschaftlichungsschub« war, zeigt ein Blick
     auf die Entwicklung von Harvard, Yale und Princeton in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts: 1910 zählten sie zusammen
     gut dreimal so viele Studenten wie 1870 (5.037 statt 1.526). Doch währenddessen kletterte die Zahl der Dozenten von 69 auf
     535, das heißt um fast das Achtfache (Ben-David 1977: 82).
    Mindestens ebenso wichtig wie das quantitive Wachstum des Hochschulsektors und die Verwissenschaftlichung des College war
     die Bildung neuer Einheiten zur Organisation der komplexer werdenden Hochschulen. In Harvard und andernorts wählte man nicht
     Lehrstühle, Institute, Seminare oder Groß-Fakultäten, wie sie aus Deutschland bekannt waren, als akademische Grundeinheiten,
     sondern Departments
.
Diese umfassen die jeweils zu einer Disziplin gehörenden Professoren (
faculty
), die gleichzeitig auch Mitglieder des College (der für die Ausbildung der
undergraduates
zuständigen Einheit) sowie der
graduate school
sind. Mit den Departments bekamen die Einzeldisziplinen eine Schlüsselrolle im Betriebssystem der
American university
. Sie entscheiden über die Berufung, Beförderung und unbefristete Beschäftigung von Professoren (
tenure*)
, die Auswahl und |65| Zulassung von
graduate students
und das Lehrangebot in den Fächern und
programs
des
undergraduate college
– das heißt alle Fragen aus dem wissenschaftlichen Kernbereich einer Hochschule.
    Unbestreitbar besitzt diese Struktur viele Vorzüge: Sie dokumentiert einen Primat der Forschung, die trotz aller Aufbrüche
     in interdisziplinäres Terrain auch heute noch überwiegend einzeldisziplinär verfasst ist oder in hybriden Disziplinen stattfindet,
     und ein klares Bekenntnis, alle Studium und Forschung betreffenden Fragen ausschließlich oder vorrangig unter fachwissenschaftlichen
     Gesichtspunkten zu behandeln. Departments bieten einerseits Stabilität und Berechenbarkeit, lassen andererseits aber auch
     Raum für Experimente und für neue Entwicklungen an den Rändern der Disziplinen wie zum Beispiel aus Drittmitteln finanzierte
     Forschungsschwerpunkte und -zentren oder unkonventionelle, problemorientierte Lehrprogramme, die das Portfolio der Hochschule
     bereichern. Selbstverständlich lassen sich Departments auch je nach Bedarf und Situation teilen, zu größeren neuen Einheiten
     zusammensetzen oder ganz neu schneidern.
    Dennoch hat die Struktur Kosten und Schattenseiten. So wird häufig darüber geklagt, dass Departments verkrusten, sich voneinander
     abschotten und fachübergreifenden Projekten in Lehre oder Forschung verweigern. Interessenkonflikte und Verständigungsprobleme
     zwischen den diversen »akademischen Stämmen« gehören zum Alltag aller Universitäten, und nicht wenige stöhnen unter den unüberwindbaren
     Idiosynkrasien einzelner Fachdisziplinen. »Joint appointments«, bei denen mehrere Departments eine Professur tragen und besetzen,
     können dazu beitragen, solche Gräben zu überwinden und fachübergreifende Fragen besser zu bearbeiten, stehen aber oft im Fadenkreuz
     unterschiedlicher Erwartungen und Ansprüche. Doch trotz solcher Schwächen verdankt sich die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit
     und das hohe Standing

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