Traumfabrik Harvard
Spannungen zwischen den praxisorientierten
professional schools
und den disziplinär organisierten Departments, Konflikte zwischen dem Interesse an einer auf Forschungsleistungen begründeten
Reputation und dem, wissenschaftliche Serviceaufgaben für ausgewählte Berufsfelder zu leisten, waren und sind an der Tagesordnung.
In den 1930er Jahren war es derart schwer geworden, eine gemeinsame Basis zwischen den verschiedenen
schools
auszumachen, dass viele Beobachter um den Fortbestand der Universität als Institution fürchteten. Worauf gründete sich deren
Identität und ihr Zusammenhalt, wenn sich die eine Gruppe von Professoren als Mitglieder einer globalen Wissenschaftlergemeinschaft
und eine andere als Sachwalter einer bestimmten beruflichen Praxis verstand? Der
Chancellor
der University of Chicago, Robert Hutchins, erntete daher viel Zustimmung für seine Bemerkung, Universität bedeute inzwischen
bloß noch eine formale Hülle, eine bunte Ansammlung eigensinniger Colleges und Departments, deren einzige Gemeinsamkeit die
Nutzung derselben Heizungsanlage sei. Die Heterogenität und Unordnung, die das amerikanische Hochschulwesen von Anfang an
bestimmt hatten, pflanzten sich nun in seine einzelnen Einrichtungen hinein fort – ob »for better or worse«, darüber gingen
die Meinungen weit auseinander. Doch mit der Devise »anything goes« sind sowohl das System insgesamt als auch viele einzelne
Institute nicht unbedingt schlecht gefahren.
Immerhin zeichnete sich um 1910 ein Konsens darüber ab, welche Merkmale eine
university
auszeichneten: Sie musste in wenigstens fünf Fächern |68| , die von promovierten Hochschullehrern vertreten wurden, Doktoranden ausbilden, mindestens eine
professional school
besitzen und die vierjährigen
undergraduate studies
so organisieren, dass einer verbindlichen
general
education
von etwa zwei Jahren Dauer verschiedenste, frei wählbare Fach- und Spezialstudien von noch einmal gut zwei Jahren folgten
(Geiger 2005). Breites Einvernehmen bestand ferner auch über die Aufgabe und angemessene Form von
graduate studies:
Sie waren die hohe fachwissenschaftliche Schule für Forscher und künftige Hochschullehrer, Kaderschmieden für den Professorennachwuchs,
in denen man das Forschen lernen sollte und seine Sporen als Wissenschaftler verdienen konnte. Organisationen wie die »Association
of American Universities« (AAU), der 1900 gegründete Dachverband forschungsorientierter Hochschulen, und die »American Association
of University Professors« (AAUP), seit 1915 Standesvertretung der Universitätsprofessoren, pochten auf ein klares Forschungsprofil
für den Ph.D. und hohe inhaltliche Ansprüche. Dank kräftiger Unterstützung durch die Rockefeller- und Carnegie-Stiftungen
konnten sie ihre Forderung nach entsprechenden Maßstäben für
graduate studies
tatsächlich durchsetzen. Das war umso wichtiger, als es in den USA, anders als in Deutschland, jenseits des Ph.D. keine weitere
formale Qualifizierungsanforderung für Hochschullehrer gab und gibt.
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Die »akademische Revolution« und der Aufstieg des staatlichen Sektors
Departments,
Colleges of Arts and Science
und die Verberuflichung wissenschaftlicher Tätigkeit durch
graduate schools
und forschungsorientierte Ph.D. wirkten gleichzeitig als kritische Ingredenzien für eine ebenso umfassende wie tiefgreifende
»academic revolution« in der Hochschulausbildung, die um 1900 einsetzte und nach dem Zweiten Weltkrieg, im »golden age« der
amerikanischen Hochschule, 19 voll zur Geltung kam. Sie verhalf wissenschaftlich ausgewiesenen, im Regelfall promovierten Hochschullehrern zu einer Schlüsselstellung
in fast allen Institutionen der amerikanischen
higher
education
und verschaffte dieser Profession darüber hinaus auch in der breiteren Gesellschaft mehr Prestige und ein gewisses Gehör (Jencks/
Riesman 1968). Mit den neuen Spielregeln für wissenschaftliche Arbeit und die Berufung von Hochschullehrern veränderte sich
aber nicht nur das |69| Berufsbild, sondern auch die soziale Herkunft von Professoren. Der Gentleman-Gelehrte kam außer Mode. Das Sagen erhielt der
wissenschaftliche Facharbeiter. Der Beruf wurde weniger exklusiv, normalisiert, anderen vergleichbar und planbar. Die Hochschulexpansion
nach 1945 brachte neue Chancen und ungeahnte berufliche Perspektiven für Hochschullehrer, die viele Angehörige mittlerer und
unterer sozialer Schichten zu nutzen wussten. Selbst
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