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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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forschungsorientierter Hochschulen in den USA nicht zuletzt ihrer Department-Struktur.
    In dem Maße, wie sie zum Skelett für akademische Prozesse wurden, verlor das College seine herkömmliche Rolle und Identität.
     Es wurde zu einer formalen Hülle, zum Träger und Sponsor der Departments, konnte ihnen aber nicht vorschreiben, was sie in
     der Lehre anbieten sollten. Wer aber trug dann die institutionelle Verantwortung für das
undergraduate-Curriculum
, das doch mehr als die Summe einzelwissenschaftlicher Beiträge sein sollte? Gelöst wurde dieses Problem durch eine neue organisatorische
     Struktur und interne Aufgabenverteilung: Die Mitglieder aller Departments, der Lehrkörper des College, bildeten die
faculty of arts and sciences
– |66| eine Verkörperung der
universitas
und der soziale Ort, um über gemeinsame Angelegenheiten zu befinden. Daraus wiederum entstand das »College of Arts and Sciences«,
     jene Untereinheit der Hochschule, die für die Zulassung und Ausbildung der
undergraduates
verantwortlich zeichnet und von einem »Dean of College« geleitet wird. So erhielten die Departments für die Ausbildung der
undergraduates
zwar die inhaltliche Zuständigkeit, aber keine nahezu uneingeschränkte Verantwortung wie im Bereich der
graduate
studies
. Die spätere Einrichtung von
graduate schools
änderte daran nur wenig, denn diese befinden lediglich über organisatorische und materielle Rahmenbedingungen der Graduiertenausbildung
     innerhalb der Departments, nicht aber über deren Ausbildungsprogramm und die Zulassung von
graduate
students
. Seit 1890 obliegt somit, dem Beispiel Harvards folgend, der
faculty of arts and sciences
an den US-Hochschulen die gesamte »non-professional education«, vom ersten Studienjahr im College angefangen bis zur Doktorprüfung.
    Die Öffnung und Verwissenschaftlichung des Studiums, symbolisiert in Departments als den akademischen Grundeinheiten der Hochschulen;
     die Schlüsselrolle der
faculty of arts and sciences
in forschungsorientierten Universitäten; und schließlich die große Offenheit gegenüber jeder nur erdenklichen Art von
professional education
: Das waren die wichtigsten Bausteine jener Reformen, die das halbe Jahrhundert zwischen 1860 und 1910 zu einer »Sattelzeit«
     für die Hochschulentwicklung in den USA machten. Lange vor der quantitativen Expansion und »Industrialisierung« der Hochschulausbildung
     wurden damals die Weichen für den phantastischen Aufstieg der
American university
an die Weltspitze akademischer Exzellenz gestellt. Das vierjährige wissenschaftsgeleitete Studium unter der Ägide des College
     avancierte zum Standardmodell für eine hochwertige Bachelorausbildung, deren erfolgreicher Abschluss zur Regelvoraussetzung
     für das Studium an einer
professional school
oder die Zulassung zu weiteren fachwissenschaftlichen Studien in der
graduate school
wurde.
    Mit Ausnahme der
for-profit
und Online-Einrichtungen sowie der Community Colleges hatten sich in den USA demnach bereits am Ende des 19. Jahrhunderts
     alle bis heute wichtigen Hochschultypen und Formen der Hochschulausbildung ausdifferenziert – angefangen von den aus
land
grant institutions
hervorgegangenen Gesamthochschulen im staatlichen Sektor und Militärakademien über konfessionelle Einrichtungen und selbständige,
     private
professional schools
und technische Hochschulen bis hin zu verschiedenen Varianten elitärer privater Colleges und Forschungsuniversitäten |67| . Aus der Verschmelzung des reformierten
undergraduate
College mit einer modernen Forschungsuniversität entstand die
American university
als eine singuläre Art wissenschaftlicher Hochschule, unter deren weitem Mantel auch für die Interessen verschiedenster Berufsguppen
     an einer formalen Höherqualifizierung und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihrem Tätigkeitsfeld reichlich Platz war.
     Viel früher als die europäischen Länder verfügten die USA damit über alle notwendigen Voraussetzungen für ein differenziertes,
     äußerst leistungsfähiges und sozial inklusives Hochschulsystem und für eine nachhaltige Expansion der Hochschulausbildung:
     Neben den bereits erwähnten
governance-Strukturen
– den großen Entscheidungskompetenzen von
boards
und
presidents –
, den
departments
und
professional schools
sind hier noch zu erwähnen das modulare Kurssystem, kumulative Abschlussexamen und zwischen den Colleges transferierbare
credits
.
    Das alles ging nicht reibungslos über die Bühne.

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