Traumfabrik Harvard
demonstrieren müssen |136| , kultivieren P-Hochschulen ihre Langsamkeit und Resistenz gegenüber modischem Schnickschnack – sie sind im Kern konservative
Einrichtungen, aber deswegen nicht weniger unternehmerisch als die der R-Klasse. Blicken R-Hochschulen mehr nach außen und
geben viel auf ihr Ansehen in den für sie wichtigen Zielgruppen, folgen die in der P-Liga ihren eigenen Maßstäben – zu denen
es übrigens nicht gehört, der Wirtschaft oder der Regierung zu Diensten zu sein. Übersetzen die R-Hochschulen »pursuit of
happiness« in einen nachweisbaren Nutzen der Hochschulausbildung, die sie ihren Studenten bieten, halten P-Einrichtungen den
»pursuit of distinction« (Veblen 1959) dagegen und propagieren die unvergleichliche Erfahrung eines Studiums in einer exquisiten
peer group
.
Beide Studien haben zweierlei gemeinsam: Sie beschreiben, natürlich in unterschiedlicher Perspektive und Terminologie, das
Kernland der amerikanischen Hochschulen, in dem ein Großteil der Studenten an »convenience«-Einrichtungen, »good buys« und
R-Institutions einem Studium nachgeht, das sich nur wenig von dem unterscheidet, was ihre deutschen Kommilitonen für normal
halten würden. Es kann längst nicht mit soviel Glimmer und Glitter aufwarten wie seine kommerzielle oder elitäre Peripherie,
ist aber auch nicht das Herz der Finsternis, sondern ziemlich berechenbar und unspektakulär. Die zweite Gemeinsamkeit beider
Studien liegt darin, dass sie das Elite-Segment der
American higher education
in das Gesamttableau stimmig einzuordnen versuchen – Zemsky u.a. mit einer Kennzahl, Brewer u.a. durch unterschiedliche institutionelle
Ziele und Strategien. Damit haben beide etwas zu bieten, was weder die Carnegie Classification noch das USNWR-Ranking schaffen
– einen vernünftigen Reim auf die unendliche Vielfalt und Widersprüchlichkeit der amerikanischen Hochschullandschaft.
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|137| 4 Das Undergraduate College – Herzstück und Ikone der amerikanischen Hochschule
Gäbe es in der Hochschulwelt ein Ranking »typisch amerikanischer« Institutionen, gebührte dort weder Harvard noch der University
of Phoenix der erste Platz, sondern einer ganz unscheinbaren Einrichtung: dem
undergraduate
college
, jenem wissenschaftlichen Unterbau für
graduate
und
professional
studies
, der in selbständigen Einrichtungen – Colleges eben – oder eigenen Abteilungen innerhalb größerer Universitäten gelegt und
gepflegt wird. Außerhalb Amerikas hat dieses Institut nicht seinesgleichen. Nur hier dauert der erste Studienabschnitt in
einem gestuften System überall vier Jahre (sonst sind drei Jahre die Regel). Nur hier schreiben sich Studienanfänger nicht
für ein bestimmtes Fach ein, sondern bewerben sich beim College der Universität Kakania oder dem Kakania College, und entscheiden
sich erst im Laufe ihres Studiums für eines der dort angebotenen Fächer. Nur hier umfasst diese Grundstufe neben der Vermittlung
fachlicher Kompetenzen stets einen mal enger, mal weiter gefassten allgemeinen Bildungsauftrag, der ausdrücklich auch »moral
and civic learning« einschließt. Nur hier kann man Medizin und Jura nicht schon vom ersten Studienjahr an studieren. Und nur
hier schließlich begreift man diese Phase einer Hochschulausbildung als eine so wichtige
rite de passage
in die Selbständigkeit, dass man sie vielerorts in eine besondere Lebensform kleidet, das
residential
college
. Viele Gründe also, sich dieses Unikat genauer anzuschauen.
Unsere Annäherung ans College als dem Herz und der Seele der Hochschulausbildung in den USA erfolgt, wie immer, in mehreren
Schritten: Im ersten Abschnitt steht seine spezielle Aufgabe (
mission
), Arbeitsweise und Gestalt im Zentrum, im zweiten die Rolle der Zulassungen (
admission
) und alles, was daran hängt. Im dritten geht es um die Studenten, genauer gesagt um ein grobes statistisches Profil der amerikanischen
undergraduates
sowie um die Zugangschancen verschiedener sozialer Gruppen – ein Happen soziologisches Schwarzbrot also. Und weil es nicht
angeht, über amerikanische |138| Hochschulen zu sprechen und über Studiengebühren zu schweigen, wollen wir am Schluss auch noch die Problematik rasant steigender
Kosten für eine Collegeausbildung, ökonomischer Nutzenabwägungen und unterschiedlicher Zugangsmuster verschiedener sozioökonomischer
Gruppen in den Blick nehmen.
Das
undergraduate college
ist keine Schule der
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