Traumfabrik Harvard
Lagen keine »besonderen Umstände« vor – glänzende sportliche Leistungen, künstlerische Begabung, spektakuläre
citizenship
oder eben
legacy
–, war es so gut wie sicher, dass eine solche Akte in der ersten Runde durchfiel. Das oberste Quartil der
freshmen
an den 20 Colleges mit dem höchsten Ranking erzielte überall mehr als 1.520 Punkte – ein beeindruckendes Profil, denn in den
letzten Jahren führten nur weniger als ein Prozent der jährlich knapp 1,5 Millionen abgelegten Tests (Wiederholungen sind
erlaubt und üblich) zu einem Ergebnis von 1.480 oder mehr Punkten. 2006 lag der Durchschnittswert bei 1.021 (NCES 2006: Tab.
131).
Weil die Kursangebote und das Niveau amerikanischer Highschools weit streuen, will der SAT das »Denkvermögen« (
reasoning skills
) von Hochschulbewerbern objektiv, für alle gleich und unabhängig von dem Stoff messen, den sie in der Schule gelernt oder
vielleicht auch gar nicht angeboten bekommen haben. Doch das bleibt graue Theorie, weil die Testergebnisse mit der schulischen
Vorbildung und dem Herkunftsmilieu der Kandidaten auffallend korrelieren. So birgt das Zahlenwerk jede Menge politischen Sprengstoff.
Zwar ist der Durchschnittswert des SAT während der letzten 30 Jahre ständig geklettert. Aber die Abstände zwischen Weißen
und Farbigen, Bewerbern aus einkommensschwachen und reichen Familien, solchen aus ländlichen Regionen und denen aus großen
Städten sind ebenfalls gewachsen. Erzielten weiße Amerikaner 2005 im Schnitt 1.063 Punkte, brachten es schwarze auf gerade
mal 863. Ökonomische Ungleichheit führt zu noch größeren Spreizungen. Testnehmer aus armen Familien mit weniger als 10.000
Dollar Jahreseinkommen schnitten mit 886 Punkten am schlechtesten ab, und die aus der großen unteren Mittelschicht (zwischen
40.000 und 50.000 Dollar) erzielten mit 994 eine weit |164| geringere Punktzahl als jene aus guten Verhältnissen (über 100.000 Dollar Jahreseinkommen) mit 1.163 (NCES 2006: Tab. 133).
Der Testerfolg hängt folglich direkt mit dem sozialen Status und der ethnischen Zugehörigkeit der Kandidaten zusammen. Je
höher die Punktzahlen, desto stärker ist das oberste Einkommensquartil vertreten. Selbstredend gilt auch der Umkehrschluss
– je geringer das Einkommen der Herkunftsfamilie, deso wahrscheinlicher sind niedrige Punktwerte. Die unterschiedliche Verteilungskurve
für schwarze und weiße Testnehmer führt dazu, dass von all denjenigen, die mehr als 1.200 Punkte schafften, nur 2,4 Prozent
schwarz waren (McPherson/Schapiro 2006: 37). So endete der Versuch, über die Hochschulzulassung nur nach Leistung zu entscheiden
und gleiche Spielregeln für alle Kandidaten zu garantieren, in einem anscheinend unauflöslichen Teufelskreis sozialer Ungleichheit:
Weil es um die »college preparedness« von Bewerbern aus sozial schwächeren Verhältnissen mit einem »disadvantaged background«
(Bowen u.a. 2005) in aller Regel viel schlechter bestellt ist als um die von denen aus den sogenannten besseren Kreisen haben
sie ein klares Handicap bei der Zulassung zu selektiven Colleges und schaffen es meist nicht einmal in den engeren Bewerberkreis.
Die Zugangschancen zu den privaten Elite-Hochschulen sind also tatsächlich sozial extrem ungleich verteilt. Familien aus den
beiden unteren Einkommensquintelen (die untersten 40 Prozent) stellen dort nur zehn Prozent der Studenten 77 (Hill/Winston 2006). Bildungsforscher sprechen daher von einer sozialen »enrollment gap«: Kommt jemand aus einer reichen
Familie, hat er oder sie eine sechsmal so große Chance, zugelassen zu werden, als wenn er oder sie aus einer armen Familie
stammt. Hat ein Elternteil einen Collegeabschluss, ist die Wahrscheinlichkeit sogar siebenmal so hoch wie bei »first-generation
college-goers« (Bowen u.a. 2005: 73ff.). Umgekehrt ist die soziale Zusammensetzung der Studentenschaft ein trefflicher Indikator
für die Selektivität einer Hochschule (Karen 2002). Wollte man daran etwas ändern, müsste man nach Ansicht vieler Kritiker
zweierlei tun: Erstens die SAT-Schwellenwerte senken oder den Testpunkten weniger Gewicht bei den Zulassungsentscheidungen
einräumen, und zweitens von einer »need-blind« zu einer »wealth-blind admission« übergehen. 78 Letzteres können sich die ärmeren privaten Hochschulen aus wirtschaftlichen und ihre wohlhabenden Schwestern aus (innen)politischen
Gründen kaum leisten. Was den ersten Punkt betrifft, kann man in
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