Traumfabrik Harvard
College-Beratern lernen die Studienbewerber, worauf sie achten müssen, wie sie einen schmissigen,
packenden Einstieg und einen eleganten Schluss |160| hinzaubern. Mit den Interviews hat es eine besondere Bewandtnis: Sie sollen den
admissions officers
einen ergänzenden Eindruck über die Person der Kandidaten und deren Passförmigkeit vermitteln, aber keine weitere Leistungsbeurteilung
liefern. Anders als in Oxford und Cambridge sind Interviews an den
ivy leagues
kein fester, zentraler Bestandteil des Auswahlprozesses. Anders als dort drehen sie sich auch nicht um Fachthemen (schließlich
müssen sich Studienbewerber in Amerika auch noch nicht auf ein Fach festlegen) und werden nicht vor Ort von Dozenten durchgeführt,
sondern von Alumni der Hochschule. Wie viel deren Votum – eine Empfehlung – letztlich wiegt, ist unklar. Wahrscheinlich wissen
sie es nicht einmal selbst. Allerdings demonstriert die Einbindung von Alumni in den Auswahlprozess künftiger Studenten noch
einmal, welche herausragende Bedeutung das
community-
Motiv für US-Hochschulen besitzt.
Wie dann letztlich die Entscheidung getroffen wird, 1.850 von 22.500 Bewerbern einen Platz im College anzubieten, bleibt ein
großes Geheimnis. Bekannt ist lediglich, dass die letzten hundert Entscheidungen stets und überall die meisten Mühen bereiten.
In der letzten Runde (oder in den beiden letzten Runden) entscheiden nicht mehr allein die Mitarbeiter der Zulassungsstelle,
sondern ein größeres Gremium, dem auch Vertreter der
faculty of arts and sciences
angehören. Professoren sind insoweit am Zulassungsgeschäft nicht ganz unbeteiligt, aber nur am Schluss und eher symbolisch
damit befasst. Im Kern bleibt es eine Sache der
admissions offices
. Wegen der immensen Bedeutung dieser Aufgabe für jede selektive Hochschule ist der »Dean of Admission« (die Bezeichnungen
des Amtes variieren etwas) eine wichtige Figur in der akademischen Administration, von der man erwartet, mit Weitsicht und
Geschick das College richtig im Wind zu halten. Der Posten ist begehrt und oft gut dotiert, kann aber auch schnell zum Schleudersitz
werden, wenn Bewerberzahlen oder
yield rates
stark sinken oder bestimmte Interessengruppen sich beklagen, weil ihre Sprößlinge angeblich schlecht weg gekommen sind.
Die viel geschmähten
legacies
* und der Umgang mit den Wünschen spendierfreudiger Freunde und Förderer bieten der Öffentlichkeit einen ständigen Stein des
Anstoßes. Kinder von Alumni (»legacy applicants«) bevorzugt zu berücksichtigen und bei denen potentieller Sponsoren (»development
admissions«) schon mal ein Auge zuzudrücken, wenn die Testergebnisse und Schulnoten für eine Zulassung nicht ganz reichen,
erscheint als flagrante Verletzung meritokratischer Grundsätze. Bestätigt das nicht, was alle wissen, dass nämlich die Elite-Hochschulen
nur hinterm Geld her |161| sind und dass dort abgefeimte
old boys networks
die Strippen ziehen? Sind sie am Ende nicht doch nur Legitimationsmaschinen, die soziale Privilegien »reinwaschen« und als
Ergebnis individueller Verdienste drapieren? Sie wünschen sich
well-rounded-
Bewerber, aber heißt das im Klartext nicht schlicht gut betuchte (»deep-pocketed«)? Jede Zulassungssaison hat ihre Skandälchen,
technischen Pannen, Irregularitäten, Empörung über »celebrity admissions« für Kinder bekannter Politiker oder Medienstars.
Meist glätten sich die Wogen aber rasch wieder, Fehler werden eingestanden, besonders anrüchige Zulassungen auch schon mal
widerrufen und fürs nächste Jahr Besserung versprochen.
An
legacies
aber halten fast alle privaten
non-profit-
Universitäten und Colleges fest, obwohl drei Viertel aller Amerikaner diese Praxis rundweg ablehnen. Harvard, Yale und Princeton
akzeptieren 30 bis 40 Prozent der
legacy applicants
, also etwa drei- bis viermal so häufig wie den Durchschnitt aller Bewerber (Karabel 2005). Zugleich zeigen diese Zahlen aber
auch, dass
legacy
keine Zulassungsgarantie bietet, denn immerhin werden zwei Drittel abgelehnt. Von Erbhöfen kann man da kaum sprechen. Dank
ihrer privilegierten sozialen Stellung besitzen
legacy applicants
außerdem besonders viel »kulturelles Kapital« und können oft mit weit überdurchschnittlicher schulischer Bildung und guten
Testergebnissen aufwarten. In der hohen Zulassungsrate für diese Gruppe schlägt demnach in erster Linie sozialer Status durch.
Ein gesetzliches Verbot von
legacies
, wie es der
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