Traumfabrik Harvard
|170| Trend zu berufsorientierten Studienfächer und weg von den
arts
and sciences.
Betrachtet man allerdings die Entwicklungen bei den Absolventen, deren Gesamtzahl zwischen 1975 und 2005 von 926.000 auf 1,44
Millionen (das heißt um 55 Prozent) stieg, gibt es interessante Nuancen zu entdecken (NCES 2006: Tab. 257). In der Tat erhöhte
sich der Anteilswert von »Business« deutlich von 15,5 auf 21,6 Prozent und, etwas weniger stark, auch der anderer praxisbezogener
Studienfelder (von 16,9 auf 20,3 Prozent). 83 In derselben Zeit brach der Anteilswert für »education« massiv ein, während »Computer Sciences and Engineering« den mit Abstand
größten Zuwachs verbuchen konnten. Am verbüffendsten ist der durchwachsene Befund für die
arts and sciences
: Während der Anteilswert für alle Naturwissenschaften um ein Drittel zurückging (von 9,9 auf 6,8 Prozent), fiel er in den
Sozialwissenschaften nur um zwölf Prozent (von 19,1 auf 16,8), und die Geisteswissenschaften konnten sogar leicht zulegen.
Darin kommt aber wahrscheinlich nur die wachsende Attraktivität künstlerischmusischer Fächer, vor allem Design, Film- und
Theaterwissenschaften, zum Ausdruck.
Wie sich nun diese Präferenzen, das soziodemographische Profil der
freshmen
und die unterschiedlichen Leistungsgruppen beim SAT/ACT in der Verteilung der Studentenschaft auf die einzelnen Segmente und
Typen von Hochschulen und auf die Studienfächer niederschlagen, ist inzwischen so oft untersucht, dokumentiert und interpretiert
worden, dass über das Grundmuster keine Zweifel mehr bestehen: Studenten aus wirtschaftlich besser gestellten Familien sind
ceteris paribus
relativ erfolgreiche Schüler, schneiden in Tests und auch sonst in den Zulassungsverfahren vergleichsweise gut ab, schaffen
häufiger als Bewerber aus weniger privilegierten sozialen Schichten die Aufnahme an einem renommierten College und wählen
eher ein Studienfach aus dem Bereich der
arts and sciences
als eine »career education« – und zwar insbesondere dann, wenn such ihre Eltern schon ein College absolviert haben. In den
einzelnen Segmenten und Sektoren des amerikanischen Hochschulwesens tummelt sich eine jeweils andere soziale Klientel, und
sie pflegen unterschiedliche programmatische Schwerpunkte. Eine kleine illustrative Fußnote dazu bietet das unterschiedliche
SAT-Profil der Bewerber an staatlichen und privaten
non-profit-Colleges
: Im 25. Prozentrang erzielten die an den staatlichen Colleges 466 Punkte im sprachlichen und 472 im mathematischen Teil des
SAT; im privaten Sektor lagen die analogen Werte bei 488 und 487 Punkten. Auch in der oberen Etage gab es klare Unterschiede:
Bewerber an öffentlichen |171| Einrichtungen gingen im 75. Prozentrang mit 573 und 581 Punkten ins Rennen, die an den privaten mit 600 und 598 (NCES 2006:
Tab. 315). Letztere waren also, jedenfalls nach dieser Elle, leistungsfähiger als erstere, und nach all dem, was wir über
die Verbindung zwischen SAT-Werten und sozialer Schicht wissen, ist es daher wahrscheinlich, dass sie im Schnitt auch sozial
besser gestellt waren.
Die institutionelle Schichtung der amerikanischen Hochschullandschaft, wie sie sich im USNWR-Ranking darstellt, reflektiert
daher in demselben Maße unterschiedliche
merits
der Studentenschaft wie ihre soziale Schichtung. Die Expansion der
higher education
hat an den unterschiedlichen Zugangschancen der einzelnen sozioökonomischen Gruppen und Milieus zum Elitesegment und dort
vor allem zu den privaten
non-for profit-
Hochschulen viel geändert, aber noch lange keine
equity
gebracht. Nach wie vor gilt »advantage begets advantage« (Martin Trow). Trotz der enormen Offenheit des Systems landen schwarze
Studieninteressenten und solche aus
low-income families
, aber auch Frauen häufiger an den weniger selektiven – und das heißt bekanntlich an den geringer angesehenen – Hochschulen
(Karen 2002). Das Zusammenspiel oder, besser gesagt, die friedliche Koexistenz zwischen Elite- und Massenausbildung in den
USA ist dennoch verblüffend: Während die unteren Etagen des Systems mit ihrer offenen Zugangspolitik dafür sorgen, dass sich
immer mehr Studieninteressenten aus sozial schwachen Milieus mit geringer Vorbildung ihren Traum von einer Collegebildung
erfüllen können, bewirken die Selektionsmechanismen des Systems zugleich auf wundersame Weise, dass Sprösslinge aus der sozialen
und Bildungs-Elite mit relativ hoher
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