Traumfänger
kamst, hattest du eine Farbe, dann bist du rot geworden, und jetzt trocknet deine Haut aus und fällt von dir ab. Du wirst von Tag zu Tag kleiner. Noch nie haben wir einen Menschen gesehen, der seine Haut wie eine Schlange einfach in den Sand wirft. Du brauchst die Fliegen, damit sie deine Haut säubern, und eines Tages werden wir an den Ort kommen, an dem sie ihre Larven abgelegt haben, und so eine neue Mahlzeit geschenkt bekommen.« Er seufzte tief und blickte mir dann fest in die Augen: »Die Menschen können nicht überleben, wenn sie alles, was ihnen unangenehm ist, auslöschen, statt es zu verstehen. Wenn die Fliegen kommen, überlassen wir uns ihnen. Vielleicht bist du jetzt soweit, es uns gleichzutun.«
Als ich das nächste Mal einen Schwärm Buschfliegen herankommen hörte, löste ich das Haarband von meiner Taille und betrachtete es genau. Dann beschloß ich, dem Rat meiner Begleiter zu folgen. Die Fliegen kamen, und ich ging. In Gedanken begab ich mich nach New York. Ich besuchte eine sehr teure Schönheitsfarm. Mit geschlossenen Augen spürte ich, wie jemand meine Ohren und meine Nase reinigte. Vor meinem geistigen Auge sah ich das Diplom dieser ausgebildeten Kosmetikerin über mir an der Wand hängen. Ich spürte, wie mein ganzer Körper mit winzigen Wattebäuschen gereinigt wurde. Als die Insekten endlich weiterflogen, kehrte ich ins Outback zurück.
Es stimmte: Unter gewissen Umständen ist die Kapitulation sicher die richtige Antwort.
Ich fragte mich, was es in meinem Leben noch gab, das ich als falsch oder störend empfand, statt zu versuchen, den wahren Zweck zu verstehen.
Die Tatsache, daß ich die ganze Zeit keinen Spiegel hatte, schien meine Wahrnehmung von mir selbst zu beeinflussen. Mir kam es so vor, als ginge ich in einer Art Kapsel mit Augenschlitzen umher. Ich blickte nur nach draußen, auf die anderen, und beobachtete, wie sie auf meine Handlungen oder das, was ich sagte, reagierten. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, völlig aufrichtig zu leben. Ich trug keine besondere Kleidung, wie man sie in der Geschäftswelt von mir erwartete. Und ich hatte kein Make-up aufgelegt. Meine Nase hatte sich mittlerweile ein dutzendmal geschält.
Es gab keine Verstellung, kein Ego, das um Aufmerksamkeit kämpfte. Es gab in dieser Gruppe keinen Klatsch und niemanden, der einen anderen übertrumpfen wollte.
Ohne einen Spiegel, der mir die Realität unbarmherzig vor Augen führte, konnte ich mich wirklich schön fühlen. Ich war es ganz offensichtlich nicht, aber ich fühlte mich so. Die Stammesleute akzeptierten mich so, wie ich war. Bei ihnen fühlte ich mich angenommen, einzigartig und wunderbar. Jetzt lernte ich, was für ein Gefühl es war, ohne Wenn und Aber einfach akzeptiert zu werden.
Als ich mich an diesem Abend auf meine Sandmatratze schlafen legte, klang eine Zeile aus dem Märchen Schneewittchen in meinem Kopf, die sich seit Kindertagen dort eingenistet hatte: Spieglein, Spieglein an der Wand...
Wer ist die Schönste im ganzen Land?
10 • Schmuck
Je weiter wir wanderten, um so heißer wurde es. Mit zunehmender Hitze schienen auch alle Vegetation und jegliches Leben zu verschwinden. Wir durchwanderten ein Gelände, das mehr oder weniger aus Sand bestand, und nur manchmal trafen wir auf ein paar Büschel großer, trockener, abgestorbener Pflanzenstiele. Auch in der Ferne war nichts zu sehen - keine Berge, keine Bäume, einfach nichts. Es gab an diesem Tag nur Sand, Sand und Unkraut voller Sand.
Zu diesem Zeitpunkt begannen wir auch, ein Feuerholz bei uns zu tragen. Es handelt sich dabei um ein Stück Holz, das am Glühen gehalten wird, indem man es immer leicht hin und her schwenkt. In der Wüste, wo jede Pflanze eine Kostbarkeit ist, wird jeder kleine Trick genutzt, der das Überleben sichert. Trockenes Gras war jetzt eine Seltenheit, und so zündeten wir unser abendliches Lagerfeuer mit dem Feuerholz an.
Ich beobachtete auch, wie Stammesmitglieder die wenigen Dunghaufen einsammelten, die von den Wüstentieren hinterlassen worden waren. Besonders die Exkremente der Dingos waren als ergiebiger und geruchloser Brennstoff beliebt.
Die Stammesmitglieder erinnerten mich daran, daß jeder von uns eine Vielzahl von Talenten besitzt. Sie selbst versuchen sich im Verlauf ihrer Leben als Musiker, Heilkundige, Koch, Geschichtenerzähler und vieles andere, wobei sie sich immer die entsprechenden neuen Namen und Titel geben. Mein erster Beitrag zu dieser Stammestradition, nach den eigenen
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