Traumfänger
dieses Traums behilflich sein konnte, denn es war darin nichts vorgekommen, das irgendwie mit Australien zu tun hatte. Trotzdem erzählte ich ihn ihr. Sie befragte mich vor allem über die Gefühle, die ich mit den Gegenständen und Geschehnissen in meinem Traum in Verbindung brachte. Es war bemerkenswert, zu welchen Einsichten sie mich lenkte, obwohl ihr die zivilisierte Welt in meinem Traum völlig fremd war.
Wir kamen zu dem Ergebnis, daß es in meinem Leben noch einige stürmische Phasen geben würde, in denen ich mich von Menschen und Dingen, in die ich bisher eine Menge Zeit und Energie investiert hatte, trennen würde. Aber dafür wußte ich mittlerweile, was für ein Gefühl es war, ein ausgeglichenes, in sich ruhendes Wesen zu sein, und es war dieses Gefühl, das mir in allen Krisensituationen den Rücken stärken würde. Ich lernte, daß man in einem Leben mehr als ein Leben leben kann und daß ich schon einmal erlebt hatte, wie sich eine Tür hinter mir schloß. Ich lernte, daß jetzt der Moment gekommen war, da ich mich von Menschen und Orten, von alten Werten und Überzeugungen trennen mußte. Zum Wohle meiner eigenen Seele, die wachsen sollte, hatte ich eine Tür leise hinter mir geschlossen und mich in einem neuen Raum wiedergefunden. Es war ein neues Leben, ein Tritt nach oben auf einer spirituellen Leiter. Das wichtigste aber war, daß ich dieses neue Wissen nicht vermarkten mußte. Wenn ich einfach nach den Prinzipien lebte, die für mich richtig zu sein schienen, würde ich die Leben der Menschen berühren, die ich berühren sollte. Die Türen würden sich öffnen. Es handelte sich schließlich nicht um meine Botschaft - ich war einfach nur die Botin.
Ich fragte mich, ob auch die anderen, die mit den Traumfängern getanzt hatten, uns an ihren Träumen teilhaben lassen würden. Noch bevor ich diese Frage aussprechen konnte, las Ooota sie in meinen Gedanken und antwortete: »Ja, der Werkzeugmacher möchte sprechen.« Der Werkzeugmacher war ein älterer Mann, der sich auf die Herstellung von Werkzeugen, Pinseln, Kochgerät und vielen anderen Gebrauchsgegenständen spezialisiert hatte. In seiner Frage war es um seine Muskelschmerzen gegangen. Er hatte von einer Schildkröte geträumt, die aus einem Billabong gekrochen kam und plötzlich merkte, daß sie ganz schief ging, weil sie auf einer Seite ihres Körpers keine Beine mehr hatte. Nachdem die Seelenfrau den Traum mit ihm durchgegangen war, so, wie sie es auch mit mir getan hatte, kam er zu dem Schluß, daß es an der Zeit war, jemand anderen sein Handwerk zu lehren.
Einst hatte er die Verantwortung, die seine Rolle als Handwerksmeister mit sich brachte, geliebt, aber jetzt stand er zu sehr unter einem selbsterzeugten Druck, um seine Arbeit noch richtig genießen zu können. Deshalb hatte man ihm ein Zeichen gegeben, daß es Zeit für eine Änderung war. Wie die Schildkröte in seinem Traum befand er sich nicht mehr im Gleichgewicht zwischen Arbeit und Spiel.
In den folgenden Tagen beobachtete ich, wie er anderen sein Handwerk beibrachte. Als ich mich nach seinen Schmerzen und Beschwerden erkundigte, vertieften sich die vielen Falten in seinem Gesicht zu einem Lächeln: »Wenn das Denken beweglich wird, werden auch die Gelenke beweglich«, sagte er. »Ich habe keine Schmerzen mehr.«
19 • Überraschende Mahlzeit
Der Verwandte der Großen Tiere trat während unseres Morgenrituals in den Kreis. Seine Brüder wünschten es, daß man ihrem Daseinszweck Ehre erweise, sagte er. Alle stimmten zu; sie hatten schon lange nicht mehr von ihnen gehört.
Anders als in Afrika, wo Elefanten, Löwen, Giraffen und Zebras den Kontinent bevölkern, gibt es in Australien nur wenige große Tiere. Ich war neugierig zu erfahren, was das Universum heute für uns bereithielt.
An diesem Tag wanderten wir in schnellem Tempo voran. Die Hitze war nicht mehr ganz so drückend - es muß wohl gute 30 Grad warm gewesen sein. Die Heilerin rieb mir Gesicht, Nase und besonders die Spitzen meiner Ohren mit einer dickflüssigen Mischung aus Eidechsen- und Pflanzenöl ein. Ich hatte die verschiedenen Hautschichten nicht mehr gezählt, aber ich wußte, daß ich mich mehrmals geschält hatte.
Allerdings machte ich mir Sorgen, daß von meinen Ohren bald nichts mehr übrigbleiben würde, weil sie in der Sonne immer wieder verbrannten. Die Seelenfrau war meine Rettung gewesen. Sie hatten alle zusammen beratschlagt, wie man die Sache angehen könnte, und obwohl es für sie eine
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