Traumfrau (German Edition)
Da plötzlich fiel mir etwas ein: In welcher Steuerklasse befand ich mich jetzt eigentlich? Ich war geschieden und lohnabhängig. Als Schriftsteller bezahlte ich Einkommenssteuer, als Harold Lohnsteuer.
Scheiße. Welche Steuerklasse hatte ein geschiedener, jetzt allein lebender Industriekaufmann? Ich wusste es nicht.
Meinen Steuerberater konnte ich aus dem Zug schlecht anrufen. Es war kein Intercity mit Telefon und Handys spielten noch keine Rolle im Leben der Menschen. SMS gab es noch gar nicht.
Vielleicht würde dieses winzige Detail mit der Steuerklasse überhaupt keine Rolle spielen. Vielleicht war es der Stein, über den ich stolperte. Der Typ durfte keinen Verdacht schöpfen, wenn ich mit ihm redete, sondern musste sich in völliger Sicherheit wiegen. Ich sprach im Zug einfach wahllos Leute an und fragte sie nach ihren Steuerklassen. Ein junger Mann, der angeblich in Scheidung lebte, aber noch nicht geschieden war, hatte Steuerklasse vier. Ich beschloss, diese Klasse zu meiner zu machen.
Dieser kurze Zwischenfall machte mir klar, wie brüchig das Eis wirklich war und ich beschloss – zum wievielten Mal eigentlich? – in Zukunft nur noch Fernsehserien zu schreiben.
Ich hatte mir alles anders, falsch, vorgestellt. Ja, ich wusste: Dort wird ein Schweinegeld verdient. Aber trotzdem erwartete ich etwas Schmuddeliges. Einen Hinterhof. Eine Mischung aus Kneipe, Büroraum, Wohnküche und Abstellschuppen. Das Ganze hatte in meiner Phantasie Hafengeruch und war nur schummrig beleuchtet.
Die Zentrale lag aber nicht in einer abbruchreifen Baubude am Hafen, sondern mitten in der Innenstadt, direkt über Burger King, bei dem CC-Buchclub in der Fußgängerzone. Beste Geschäftslage.
Dann stand ich auf mehreren flauschigen Teppichschichten. Die Teppiche waren ebenso dick wie geschmacklos. Hellblau, zartrosa, grellgelb, mit Musterehen und Ornamenten. Nicht eine Fluse, nicht ein Staubfleck.
Herrjeh, dachte ich, wer hält das sauber?
Ein Mann Mitte fünfzig, groß, drahtig, der in jedem Wildwestfilm den Guten hätte spielen können, komplimentierte mich hinein. Er hatte gleich einen Scherz auf den Lippen und zeigte mir seine gut gearbeiteten Zähne.
Dieses Zimmer hatte etwas Unwirkliches. So ein Zimmer vermutete man nicht in einer bundesdeutschen Großstadt. Eher in einem Schmachtschinken über das organisierte Verbrechen in Bangkok. Mindestens dreißig blank gewienerte Schnapsflaschen standen griffbereit. Ingredienzien für karibische Mischgetränke neben russischem Wodka und teurem Whiskey.
Der Typ nahm hinter dem Schreibtisch Platz. Nein, er thronte dahinter. Und das Wort Schreibtisch war völlig unpassend. Das Ding hätte als Tanzparkett für mindestens drei Paare herhalten können, war aus edel polierten, rötlichbraunen Hölzern geschnitzt, mit Intarsien aus Elfenbein und Perlmutt verziert. Die Stilrichtung würde ich als pompöses indisch-pakistanisches Rokoko bezeichnen. Im gleichen Stil waren alle anderen Möbelstücke gehalten. Aber ich war kein Antiquitätenhändler. Ich durfte mich auf einen schweren, geschnitzten Sessel setzen, ein Kissen aus hellblauer Thai-Seide mit goldgestickten Drachen ließ meinen Hintern das Holz nicht spüren.
Neben dem Schreibtisch reckte ein hölzerner Elefant seine Elfenbeinzähne in die Luft. Er war groß wie ein Kalb und suggerierte, dass in ihm etwas verborgen war. Vielleicht ein Fach für eine zusätzliche Schnapsflasche.
Hinter dem Typ schwammen Zierfische in einem veralgten Aquarium. Wie viele Götter und Symbole ich in diesem Raum fand, kann ich nicht schätzen. Das ganze Zimmer wirkte wie eine religiöse Kultstätte. Undenkbar, dass hier gearbeitet wurde. Kein Schreibwerkzeug lag auf dem Schreibtisch. Es schien auch kein Telefon zu geben. Ein Raum, wie gemacht für Hochzeitsfeiern, religiöse Rituale oder Besäufnisse.
Gleich sollte ich in seinen Fotoalben blättern. Mehr als siebentausend Damen, angeblich aus der ganzen Welt, standen zur Verfügung.
Nicht ohne Stolz zeigte mir der Typ ein kleines, wie ein Taschenbuch gebundenes Fotoalbum: „Manche Männer meinen, dass sie überhaupt keine Frau mehr abbekommen können. Aber so etwas gibt es nicht. Sehen Sie hier, diesen fünfundsiebzigjährigen Opa.”
Ich sah ihn mir an. Er hatte eine dicke Weintrinkernase und wirkte auf mich wie die Karikatur eines gebrechlichen Mannes. Im Film hätte ich so einen Opa abgelehnt. Er wäre mir zu klischeehaft „alter Mann” gewesen. Lediglich seine Augen leuchteten feurig und
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