Traumfrau (German Edition)
Langhantel stand und neue Gewichte aufschraubte, spürte er sie plötzlich hinter sich.
„Kannst du mir mal helfen? Ich glaube, meine Gewichte haben sich verhakt ...”, sagte sie, und er nickte nur stumm. Er begleitete sie zu ihrem Gerät, blickte aber dabei zu Boden. Obwohl sie die Antwort auf ihre Frage deutlich sehen konnte, stellte sie sich voller frischer Neugier:
„Machst du das schon länger? Ich bin heute zum ersten Mal hier. Ich weiß gar nicht, ob Bodybuilding auch was für mich ist. Zeigst du mir eine Übung für die Waden? Also ich finde, meine Waden sind zu dünn. Was meinst du?”
Während er alle Konzentration aufbrachte, um einen passenden Satz zu finden, wurde etwas in ihm wieder zum Schwabbel. Speckrollen legten sich über seine Hüften, Fettwürste ringelten sich um seinen Bauch und plötzlich baumelte ein Doppelkinn an seinem Hals. Er brauchte den Blick in den Spiegel, um sich zu vergewissern, dass er Schwabbel besiegt hatte. Erst als sie unaufgefordert seine Waden anfasste und als vorbildlich lobte, schaffte er es zu sagen:
„Es gibt eine gute Übung mit den Eisenschuhen. Komm mit, ich zeig sie dir.”
10
Der Schulbus, der Hanne Wirbitzki in die Kreisstadt mitnahm, hielt direkt vor ihrer Tür. Diese kleine Extrawurst briet ihr der Busfahrer jeden Morgen. Er mochte sie, so wie die meisten Leute Hanne Wirbitzki mochten. Weil sie fleißig war und freundlich.
„Guten Morgen, Frau Professor”, lachte der Busfahrer.
Hans Wirbitzki hörte diesen Spruch jeden Morgen. Heute machte er ihn besonders sauer. Warum nannte der Busfahrer seine Frau Frau Professor? Jeden Morgen nahm Hans Wirbitzki sich vor, sie am Abend zu fragen. Doch jeden Abend vergaß er es oder er verschob die Frage, fand es nicht mehr so wichtig. Je mehr die Leute Hanne mochten, um so mehr fühlte er sich von ihnen abgelehnt. Er war für die Ichtenhagener der zugereiste Prolet aus dem Ruhrgebiet geblieben. Der Kumpel von der Zeche. Zwischen ihm und allen anderen gab es einen gewaltigen Unterschied: Die anderen besaßen Grund und Boden in Ichtenhagen. Manch einer hier hatte noch weniger Geld als Hans Wirbitzki mit seiner Rentenanpassung. Aber was zählte, war der eigene Besitz. Wer in Ichtenhagen zur Miete wohnen musste, war so etwas wie ein Streuner, ein Zigeuner, ein Nichtsesshafter.
Er glaubte allen Grund zu haben, mit sich, seinem Leben und seiner Frau unzufrieden zu sein. Er fand, dass Hanne ein herrschsüchtiges Weib war. Sie tat alles nur, um ihm zu zeigen, wie klein er war, wie sehr sie ihn verachtete. Sie verkaufte Schuhe in der Kreisstadt, kellnerte am Wochenende in der Linde und zog als Avon-Beraterin durchs Dorf, um allen Leuten klar zu machen, dass sie es war, die die Kohle nach Hause brachte.
Sie stellte ihm, bevor sie losfuhr, das Frühstück wie einen stummen Vorwurf auf den Tisch.
„Ich weiß, dass du keinen vernünftigen Kaffee kochen kannst und die Eier nicht richtig hinkriegst, mein Lieber.”
Nein, gesagt hatte sie das nie. Er interpretierte es nur in ihre Nettigkeiten hinein.
Noch im Schlafanzug setzte er sich an den Frühstückstisch und gab sich alle Mühe, es sich nicht schmecken zu lassen. Lustlos schlürfte er den Kaffee und ließ die Schwarzbrotschnitten, die sich schon wellten, wie Schiffchen auf und nieder wippen. Ganz so perfekt wie sie tat, war sie nicht. Altes Brot. Pah!
Er hasste es zu duschen. Er wusch sich, wie er es von zu Hause gewöhnt war, in der Küche über dem Spülstein. Er schaufelte sich mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht und prustete wie ein Nilpferd. So hatte sein Vater es getan und sein Großvater. So wollte er es auch tun. Freitags ging er in die Badewanne, weil Hanne darauf bestand. Wenn es ihm gelang, sich darum zu drücken, sprach sie ihn erst wieder in der nächsten Woche freitags darauf an.
Er suchte nach seinen Zigarren. Vermutlich rauchte er sie nur, weil er wusste, dass Hanne den Geruch nicht mochte und sich Sorgen um seine Gesundheit machte. Ein paarmal hatte sie ihm ernsthaft angeboten, sich doch „ein anderes Hobby” auszusuchen, eins, das weniger gesundheitsschädlich war. Sie machte sich ständig Sorgen um seine viele Freizeit und brachte ihm Illustrierte mit nach Hause und Bücher, machte Vorschläge, welche Filme er sich ansehen sollte. Sie erzählte ihm von Leuten, die ihrer Meinung nach interessante Hobbys hatten. Als Günther Ichtenhagen begann, in seinem Garten einen Teich auszuheben, sprühte sie vor Begeisterung wie eine
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