Traumfrau (German Edition)
machte ihm Mühe, auch nur geradeaus zu gehen. Am liebsten lag er auf der Couch und starrte an die Decke. Dann plötzlich dieser Schüttelfrost.
„Grippe!”, prophezeite seine Frau und bestand darauf, dass er lieber Tee mit Zitrone trank. Gegen seine Gliederschmerzen war das etwa so wirkungsvoll wie ein Mehlpfannkuchen oder ein Fußbad.
Als Hanne Antibiotika aus der Kreisstadt mitbrachte, weigerte er sich, sie einzunehmen. Für seine Krankheit war kein Virus verantwortlich. Sie kam aus dem Schrecken seiner Erinnerungen und pflanzte sich als Angst vor der Zukunft fort. Die Nächte waren grausam. Er wälzte sich herum, atmete schwer und schwitzte.
Wenn der Postbus durch war, ging es Wirbitzki für ein paar Stunden besser. Seine Galgenfrist war um vierundzwanzig Stunden verlängert worden, je später es wurde, um so mehr wuchs die Angst vor dem nächsten Morgen.
Wolfhardt stauchte ihn zusammen: „Mach dir nicht in die Hose! Wenn jeder, der vom Sexversand einen Katalog bekommt, gleich ein Kinderschänder wäre, dann könnte man sie nicht mehr in Gefängnisse stecken, dann brauchte man dafür Fußballstadien!”
Hans Wirbitzki war keinem Argument zugänglich. Ihn beherrschte eine Angst, die sich längst selbständig gemacht hatte.
„Und wenn die Sache mit Mary herauskommt?”
„Na und! Das ist doch völlig legal. Günther kann heiraten, wen er will. Der ist alt genug. Und Mary tut es freiwillig.”
„Trotzdem. Alle werden wieder mit Fingern auf mich zeigen und sagen: das Sexmonster. Ich kann das nicht noch einmal aushalten.”
„Wenn du aussteigen willst, sag es.”
Wolfhardt Paul zog es vor, Martin Schöller zu unterrichten. Wirbitzkis Nervosität konnte eine Gefährdung für alle werden.
Die Linde war für ein solches Gespräch nicht der richtige Ort. Wolfhardt zog es vor, Martin anzurufen. Er tat es, während seine Frau die Post austrug. Er ahnte nicht, dass Martin Schöller um diese Zeit noch im Bett lag. Die Mutter brachte ihm den Apparat ins Zimmer. Sie wunderte sich zwar über den frühen Anruf von Wolfhardt, aber es war ein guter Anlass, den verschlafenen Sohnemann zu wecken. Sie hasste es, wenn er so lange im Bett lag.
„Kannst du sprechen?”
„Hm.”
„Ich glaube Hans dreht durch. Er will aussteigen. Vielleicht solltest du mal mit ihm reden.”
„Er kann jederzeit aussteigen. Hauptsache, er hält den Mund.”
„Und sein Geld?”
„Du meinst, er will ausbezahlt werden?”
„Kann sein.”
„Das kann er sich abschminken. Die Sache ist knapp kalkuliert. Wir haben das gemeinsam beschlossen. Wenn er jetzt aussteigt, lässt er seinen Anteil drin.”
„Rede du mit ihm, Martin.”
„Darauf kannst du dich verlassen.”
16
Konnte sich eine junge Frau in dieser Wohnung wohl fühlen?
War es nicht viel zu sehr die Wohnung eines älteren Herrn, der seine Gewohnheiten hatte und seine Eigenheiten? Günther Ichtenhagens Gefühle schwankten. Die Einsamkeit wäre vorbei. Sicherlich würde sie alles schön sauber und ordentlich halten. Aber er war es längst gewöhnt, allein zu sein mit sich und seinem Teich. Mit seinen Büchern und Erinnerungen. Er musste sich einen Raum erhalten, in den er sich zurückziehen konnte, wenn er Ruhe brauchte. Er wusste, auch Menschen, die sich gut verstehen, gehen sich auf die Nerven, wenn sie zu nah aufeinanderhocken.
Er begann, zunächst allein, später mit der Hilfe von Hermann Segler, die oberen Räume auszuräumen. Katis Kinderzimmer ... Sie brauchte es nicht mehr, aber es stand noch unverändert. Als Gästezimmer.
Plötzlich fühlte er sich voller Tatendrang. Dieses Zimmer würde er für Mary herrichten. Er ließ sich den Spaß gern etwas kosten. Sie sollte sich hier wohl fühlen. Sich zurückziehen können. Dieses ehemalige Kinderzimmer sollte ihr Reich werden.
Direkt neben dem Zimmer waren die Tür zum Balkon, eine Toilette und ein winziges Handwaschbecken. Vom Balkon aus führte eine Treppe direkt in den Garten. Kati nannte das früher ihren Geheimgang. Hier konnte sie die elterliche Wohnung ungesehen verlassen oder Besucher empfangen. Günther Ichtenhagen hatte diese Treppe seit Jahren nicht mehr benutzt. Nun bekam sie wieder eine Funktion. Sie wurde zum separaten Eingang für Marys kleines Schloss, wie er das Zimmer bei sich nannte. Er entwickelte Energien wie beim Teichbau. Mühelos arbeitete er sechs bis sieben Stunden hintereinander.
Ein krankes Herz? - Unsinn. Ein Mann mit einer Aufgabe und einem Ziel ist gesund.
Sorgfältig rissen Hermann
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