Traumfrau (German Edition)
Schöller erwartet hatte. Der Chef hinter seinem Mahagonischreibtisch befürchtete nicht die geringsten Komplikationen. Er stellte keine dummen Fragen und fand es auch nicht merkwürdig, dass der künftige Ehemann nicht selbst erschien. Im Gegenteil. Nachdem Martin Schöller ihm viertausendachthundertfünfundneunzig Mark auf den Schreibtisch gezählt hatte, gab er ihm die Hand und stellte sich noch einmal, als sei das nicht schon längst geschehen, als Lothar Sommer vor. Er goss einen Cognac ein, gab sich plötzlich sehr aufgeräumt, lockerte seinen Schlips und machte Martin ein Angebot.
„Wenn Sie noch mehr Kunden für mich haben ... Wir könnten da sehr gut ins Geschäft kommen.”
„Wie meinen Sie?”
„Machen wir uns nichts vor. Die Zeiten sind hart. Bei mir können Sie am Anfang leicht vier- bis fünftausend im Monat machen. Netto, versteht sich. Wenn Sie fleißig sind, kontaktfreudig und nicht arbeitsscheu, können Sie es zum Gebietsleiter bringen, mit Untervertretern und monatlichen Einkünften zwischen zehn- und zwölftausend Mark. Der Handel blüht. Unsere Ware ist gefragt. Ich brauche nur Leute, die diskret vor Ort alles abwickeln. Ich kann mich nicht um alles selbst kümmern.”
„Ich soll so eine Art Vertreter von Ihnen werden, oder was?”
„Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich habe bisher zwölf Mitarbeiter im Außendienst. Ich könnte gut zwanzig gebrauchen.”
18
Die Aufregung kostete Hans Wirbitzki zu viel Kraft. Er hatte sich nach Ichtenhagen zurückgezogen, in der Hoffnung, hier einen ruhigen Lebensabend verbringen zu können. Keine Vorwürfe mehr, keine Beschuldigungen – ein Verschwinden in der kleinen Welt des Dorfes, der Versuch, zu vergessen und unerkannt zu bleiben. Sie hatten ihr Auskommen, und er beklagte sich nicht. Hanne hielt zu ihm, trotz allem, was geschehen war. Sie liebte es, gebraucht zu werden, sich unersetzlich zu machen. Aber sie ließ sich von ihm nicht mehr anfassen. Sie schlief nicht mehr mit ihm. Einer, der sich so schuldig gemacht hatte wie er, besaß ihrer Ansieht nach kein Recht mehr, einen Geschlechtstrieb zu haben. Einmal, als er zu ihr unter die Bettdecke kriechen wollte, sah sie ihn ernst an und sagte: „Unterdrück es, bis es abstirbt. Du weißt, welches Unheil daraus erwachsen ist.”
Sie selbst lebte enthaltsam und verlangte es auch von ihm. Sie war die Nonne, er der Pflegefall. Manchmal, in seinen Träumen, verging er sich wieder an einem jungen Mädchen. Erlebte die Szenen, die ihn vor Gericht gebracht hatten, noch einmal. In seine Gedanken waren sie eingeprägt. Unauslöschbar, wie sein Name und sein Geburtsdatum. Gewehrt hatte sich keine. Wie sollten sie auch? Wer hatte ihnen beigebracht, Erwachsenen gegenüber Nein zu sagen? Wann durften sie je über ihren eigenen Körper bestimmen? Erwachsene entschieden, was gut für sie war. Wann sie genug gegessen hatten und wann es Zeit war, schlafen zu gehen. Ob ein Film für sie geeignet war oder nicht, ob eine Speise gesund war oder nicht, ein Pullover warm genug und eine Krankheit schlimm genug, um die Schule zu schwänzen. Sie waren so sehr gewöhnt, Anweisungen Erwachsener zu erdulden und zu befolgen, dass es ihm ein Leichtes war, sich an ihnen zu befriedigen. Zwischen all den Befehlen:
„Lass das!”
„Pass auf!”
„Kämm dich!”
„Iss das!”
„Bleib sitzen!”
„Halt den Mund!”
„Komm her!”
„Schlaf jetzt!”
fielen seine „Zieh dich aus!”
„Streichel mich hier!”
kaum auf. Woher sollte der Protest der Mädchen kommen? Die dummen Fragen des Richters: „Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum bist du wieder zu dem Mann gegangen? Warum hast du deinen Eltern nichts davon erzählt?” brachten doch nur Tränen der Mädchen hervor, die sich jetzt selbst fragten, ja warum habe ich eigentlich nicht ...
In seinem tiefsten Innern war er immer noch nicht davon überzeugt, Unrecht getan zu haben. Man hatte ihn bestraft, und er würde es nicht wieder tun. Das wurde nicht akzeptiert. Die Leute hätten ihn am liebsten gelyncht. Aber trotzdem: Er war davon überzeugt, den Mädchen nicht wehgetan, ihnen kein Unheil angetan zu haben. Sie waren gern zu ihm gekommen. Nach einer Weile hatte es ihnen sogar Spaß gemacht, glaubte er – und sie beklagten sich bei ihm über ihre Eltern, über ihre Lehrer und waren froh, jemanden zu haben, bei dem sie sich aussprechen konnten. Er sagte nicht:
„Schokolade ist schädlich für die Zähne.”
„Zieh dir was an, du wirst dich
Weitere Kostenlose Bücher