Traumfrau (German Edition)
und Blut tropften von seiner Stirn auf das karierte Hemd.
„Du blutest.”
„Hau ab. Lass mich in Ruhe.”
„Wirst du es erzählen?”
Wolfhardt Paul senkte die Axt, stützte sich einen Moment darauf und versuchte, sich vorzustellen, was in Hans Wirbitzkis Kopf vorging.
Immerhin war er sein Skatbruder. Ein dufter Kerl. Großzügig. Humorvoll. Er stand unterm Pantoffel seiner Frau, war lungenkrank, aber sonst ... Bis vor wenigen Minuten hätte er ihn als Freund bezeichnet.
„Du wirst den anderen nichts erzählen? Bitte – Wolfi! Und du musst den Katalog für mich abfangen. Ich kann so eine Hexenjagd nicht noch einmal ertragen.”
„Wenn ich mir vorstell, dass du diese kleinen Mädchen ... Wie viele waren es überhaupt?”
„Eins. Es ist nur einmal passiert. Glaub mir.”
Wolfhardt Paul schulterte seine Axt und hielt den Griff mit beiden Fäusten umklammert.
„Drei. Drei waren es. Aber mehr wirklich nicht.”
„Du Schwein.”
„Bitte, du musst mir helfen. Wenn du es nicht für mich tust, dann tu es für Hanne. Bitte, tu es für Hanne! Sie hat all die Jahre zu mir gehalten. Sie hat den ganzen Spießrutenlauf mitgemacht. Vielleicht Schlimmeres als ich. Du kannst dir ja nicht vorstellen, wie so was ist ... Die Nachbarn haben uns geschnitten. Ach was sag ich, geschnitten, weil ich saß, konnten sie es an mir nicht auslassen. Hanne ist im Supermarkt angespuckt worden. Der Bäcker hat sich geweigert, ihr Brötchen zu verkaufen. – Sie werden hier nicht bedient, Frau Wirbitzki! – Kannst du dir das vorstellen? Ihre Stelle als Verkäuferin war sie natürlich los, und aus der Wohnung mussten wir auch raus – wir wären sowieso ausgezogen, weil es nicht auszuhalten war ... Sie ist zu ihrer Mutter gegangen, zu dieser elenden Schreckschraube. Aber sie hat zu mir gehalten. Ich wollte mich aufhängen im Knast, ich dachte, es wäre das Beste, einfach Schluss machen ...
„Warum hast du es nicht getan?”, unterbrach Wolfhardt Paul ihn barsch und schämte sich im gleichen Moment für seine Worte. So etwas sagte man nicht. Der eigene Fehler dämpfte seine Wut. Haus Wirbitzki schnappte nach Luft. Das Pfeifen seiner Lunge hörte sich jetzt an wie Signale einer langsam näher kommenden Dampflok.
„Ich hätte es getan, glaub mir, und manchmal denke ich noch heute, es wäre das Beste gewesen. Ich hab’s nicht gemacht wegen Hanne. Sie ist so eine gute Frau.”
„Ja. Und du lässt sie für dich malochen.”
„Deine Uschi arbeitet auch.”
„Das ist etwas ganz anderes.”
Mit beschwörenden Blicken und rasselnder Lunge flehte Hans Wirbitzki erneut: „Bitte Wolfhardt, mach mich nicht unglücklich!”
Wolfhardt hob die Axt und schmetterte sie in die Wurzel. Dumpf fiel sie vom Hauklotz auf den Strohboden.
13
Martin Schöller hielt die Gelegenheit für günstig. Seine Mutter machte oben die Betten. Er hörte, wie sie die Daunendecken ausschüttelte. Jetzt gestaltete sich das Gespräch schwieriger, als Martin erwartet hatte. Es zögerte sich zu lange hinaus. Es bestand schon die Gefahr, dass die Mutter herunterkam.
„Stumm soll sie sein, soso. Wie alt ist der Kunde denn?”
„Sie ist nicht für mich, das sagte ich schon. Er ist so um die sechzig. Eher älter als jünger.”
Ein fröhliches Lachen ertönte. „Oje, dann sollte sie vielleicht besser blind sein als stumm, hihihihi, kleiner Scherz, Sie verstehen. Aber ich glaube bestimmt, dass ich da etwas für Sie habe. Wir haben einige hübsche Videospots von den aktuellen Damen aus unserem Angebot. Sie können sich die Filme gerne hier anschauen. Gegen eine kleine Schutzgebühr stelle ich Ihnen auch eine Kassette zur Verfügung. Wir haben VHS und BETA.”
Plötzlich hielt Martin Schöller es nicht länger aus. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum, ihm fiel kein Satz ein, mit dem er das Gespräch hätte fortführen können. Er legte einfach auf. Er hoffte, sein Gesprächspartner würde denken, dass sie einfach getrennt worden seien.
Martin lauschte nach oben. Noch waren Mutters schwere Tritte nicht auf der knarrenden Holztreppe zu hören. Martin wählte die nächste Nummer. Einer musste die Sache schließlich in Gang bringen, und die anderen hatten nicht genug Schneid.
Es klingelte zweimal, dann hauchte eine Frauenstimme:
„Asia Institut, was kann ich für Sie tun?”
Er schluckte und schaffte es nicht, einen Satz herauszubringen. Er hielt die Hand über die Muschel und lauschte wieder nach oben. Fast hoffte er, Mutter möge endlich die
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