Traumfrau mit Fangzähnen
der Fahrer in den Verkehr einfädelte, ließ ich mich matt in den Sitz sinken. »Puh, bin ich froh, da raus zu sein«, sagte ich und lehnte meinen Kopf gegen die Polsterung. »Was für ein furchtbarer Abend.«
»Ganz deiner Meinung«, sagte Benny. »Aber da wir jetzt für einen Augenblick allein sind, muss ich dich unbedingt etwas fragen.«
Wahrscheinlich ging es um Darius und mich, oder Darius und dieses halbnackte Flittchen, daher drehte ich meinen Kopf müde in Bennys Richtung und sagte: »Schieß los.«
»Hast du eine Ahnung, wer Bubba ist?«
»Das weißt du doch besser als irgendjemand sonst. Er ist der Cousin von Larry Lee, deinem letzten Freund, und er ist vom Team Dark Wing rekrutiert worden, weil du gegenüber Larry ausgeplaudert hast, dass wir Spione sind, und Larry es dann gleich Bubba weitererzählt hat. Statt einer Leiche im Keller hatten die Lees offensichtlich einen Vampir am Esstisch. Und du weißt ja, Benny, wenn der Feind mithört, ist Schweigen Gold.«
»Ach, hör doch auf, Daphy. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass unser Bettgeflüster derart außer Kontrolle geraten würde? Aber ich meine überhaupt nicht, wer Bubba
jetzt
ist, ich meine, wer er
war
, bevor er Bubba Lee aus Belfry, Kentucky, wurde, denn ich kaufe ihm dieses lieber-braver-Junge-Getue einfach nicht ab.«
»Getue? Dieser Mann trägt eine Mütze von John Deere, Bauarbeiterstiefel und hat einen Bierbauch, und
der
ist mit absoluter Sicherheit echt.«
»Ach Daphy, du hast überhaupt nicht aufgepasst. Ja sicher, er sieht aus wie ein Hinterwäldler und würde sich ganz hervorragend als NASCAR-Rennfahrer machen, aber er hat mich beim Galgenmännchen regelrecht über den Tisch gezogen. Danach haben wir Super Ghost gespielt, dieses Wortspiel, das so schwer ist, dass ich jedes Mal am liebsten losheulen würde, und wieder hat er uns fertiggemacht. Cormac war so beleidigt, dass er sich weigerte, noch eine Runde zu spielen.«
»Falls Bubba tatsächlich in gehobener Sprache sprechen kann, dann gibt er sich auf jeden Fall Mühe, das in einer normalen Unterhaltung zu verbergen. Okay, das ist wirklich interessant. Gibt es noch etwas, was du verdächtig findest?«
»Seinen Ring. Ich habe gefragt, ob ich ihn näher ansehen darf. Er ist aus West Point, von der Abschlussklasse von 1854.«
»Und? Hast du ihn zur Rede gestellt? Ich habe auch schon oft eine andere Identität angenommen«, sagte ich. Plötzlich schien sich eine Tür in meinem Kopf zu öffnen, und eine Erinnerung tauchte daraus hervor. Mit einem Mal befand ich mich 200 Jahre früher in der Vergangenheit, in einer Januarnacht in London. Ich trat durch eindrucksvolle, vergoldete Türen in einen überfüllten Saal. Mein Gesicht verdeckte ich mit einer kunstvollen Maske aus schwarzen Federn auf einem Stab aus Ebenholz, und ich trug ein Kostüm – ein leuchtend scharlachrotes Kleid aus der Zeit Elisabeths. Eine Halskrause umrahmte meinen Hals, und ein enges, fest geschnürtes Mieder drückte mein Dekolleté nach oben und entblößte beinahe meine kleinen Brüste. Diese Aufmachung war so viel vorteilhafter als die abscheulichen, unter der Brust geschnürten, klassizistischen »Nachthemden«, die zu der damaligen Zeit in Mode waren! An den Füßen trug ich goldene Pantoffeln, und eine diamantene Kette hielt einen kleinen, goldenen Dolch, der in mein hochgestecktes schwarzes Haar eingeflochten war. »Lady Webster«, verkündete der Butler. Die Männer starrten mich an.
Ein junger Mann am anderen Ende des Raumes, der eine reich verzierte, karmesin- und goldfarbene Brokattunika wie die eines türkischen Prinzen und einen seidenen Turban in denselben Farben trug, unterbrach seine Unterhaltung mit einer Gruppe Bewunderer und starrte besonders intensiv zu mir herüber. In ihm steckte eine Vitalität, die das Licht der Kerzen einzufangen schien und ihn in eine strahlende Aura aus Licht hüllte. Ein dünner Schnurrbart betonte seine sinnliche Oberlippe. Seine Augen klebten förmlich an mir fest, während ich die kurze Treppe hinunterschritt. Ich spürte die kühle Glätte des marmornen Geländers unter meiner Hand, doch der Raum schien zu verschwimmen, die Zeit langsamer zu verrinnen, und die Entfernung zwischen dem Mann und mir löste sich auf. Ich blieb stehen und senkte meine Maske. Wir standen uns reglos gegenüber, und eine plötzlich aufflammende sexuelle Energie schien uns so fest aneinanderzufesseln wie eiserne Ketten. Niemand sucht sich die Person aus, in die er sich verliebt.
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