Traumfrau mit Fangzähnen
Unser Schicksal steht irgendwo in einem großen Buch geschrieben, und wir können dem, was sein soll, weder widerstehen noch entgehen. Und dieser Mann sollte zu mir gehören.
Ich war auf diesen Ball gekommen, um George Gordon Noel Byron, sechster Baron Byron, eine von Londons skandalösesten Berühmtheiten, zu treffen. Und ohne den Hauch eines Zweifels wusste ich, dass ich ihn gefunden hatte. Ich war auf ein Gedicht gestoßen, das Byron erst vor kurzem geschrieben hatte: »First Kiss of Love«. Die Verse schienen direkt in meine Seele zu dringen, und daher hatte ich ihn aus einer Laune heraus ausfindig gemacht und mir eine Einladung zu diesem eleganten Maskenball erkämpft, auf dem ich mich als geheimnisvolle Dame deutlich von den Adligen abhob. Eigentlich hatte ich nur jenen Mann in Fleisch und Blut vor mir sehen wollen, dessen Worte sich wie ein Pfeil in meine Seele gebohrt hatten. Doch nun hatte der Pfeil erneut getroffen, und dieses Mal mitten in mein Herz.
»Daphy? Ist alles in Ordnung mit dir? Haa-llo!« Bennys Stimme drang in mein Bewusstsein, die Tür zur Vergangenheit schlug zu, und die Erinnerung verblasste wieder.
»Was? Oh, entschuldige, ich habe gerade über etwas nachgedacht. Du hast erzählt, dass du Bubba nach seiner Herkunft gefragt hast?«
»Ja, das habe ich. Ich war ganz direkt und sagte: ›Mr. Bubba Lee, ich habe so meine Zweifel an Ihnen. Was haben Sie auf der West Point Akademie gemacht?‹«
»Und was hat er geantwortet?«
»Er ist mir ausgewichen. Er sagte etwas wie: ›Ich habe gelernt, dass einige Männer lieber kämpfen, als zu lieben.‹ Also habe ich ihn gefragt, ob er selbst eher ein Kämpfer oder ein Liebender gewesen ist.«
»Benny, du schamloses Luder!« Ich zwickte sie leicht.
»Au, Daphy, das tut weh!«, quietschte sie und rieb sich über den Arm. »Eins sag ich dir, unter dieser furchtbaren John-Deere-Mütze stecken ein brillanter Kopf und die Seele eines Südstaaten-Gentlemans. Es gibt ein Geheimnis in seinem Leben, und ich habe vor, es aufzudecken.«
In diesem Moment hielt das Taxi vor dem Flatiron Gebäude, dessen dreieckiger Grundriss an den Bug eines Ozeandampfers erinnerte, der zwischen dem Broadway und der Fifth Avenue auf Grund gelaufen war. Benny und ich waren gerade ausgestiegen, als Bubba und Cormac in einem zweiten Taxi vorfuhren. Der Graupelregen vom frühen Abend hatte die Straßen mit einem dünnen, krustigen Weiß überzogen, und ein bitterkalter Windhauch fuhr unter meine Lederjacke und packte mich wie eine eisige Hand. Bald würden wir erfahren, welchen neuen Auftrag das Team Dark Wing zu erfüllen hatte. Ich sah hinauf in den dunklen Himmel Manhattans, an dem kein einziger Stern zu sehen war. Wie eine finstere Wolke, die sich kurz vor den Mond schiebt, kam mir plötzlich der Gedanke, dass vielleicht nicht jeder von uns vier Vampiren diese Mission überleben würde.
Vor dem Eingang des Gebäudes Nummer 175 auf der Fifth Avenue stand ein Wachmann, der uns die Tür zu der dunklen Lobby öffnete. Wir drängten uns geräuschvoll in einen Aufzug und fuhren in den dritten Stock hinauf zu ABC Publishing. Natürlich war der Name der Verlagsgesellschaft nur eine Tarnung für das Hauptquartier der Dark Wings, einer Gruppe von Vampir-Spionen in geheimer Mission – mit anderen Worten, wir existierten nicht als gesetzliche Behörde. Der Kongress wusste nichts von uns, im Pentagon waren es vielleicht ein oder zwei. Wer wusste sonst noch Bescheid? Waren wir eine Unterabteilung der CIA oder eines anderen Geheimdienstes? Ich kann diese Fragen beim besten Willen nicht beantworten. Offiziell war ich beim Innenministerium angestellt und arbeitete für den National Park Service als Spezialistin für historische Wiederaufbauprojekte und war gerade mit einem Projekt zur Restaurierung von Theaterfundstücken aus dem 19. Jahrhundert beschäftigt. Inoffiziell war ich Teil der allergeheimsten Maßnahmen der Regierung, den Terrorismus zu bekämpfen. Kurz vor Weihnachten hatte ich als verdeckte Ermittlerin versucht, an einen großen internationalen Waffenhändler namens Bonaventure heranzukommen. Es stellte sich heraus, dass er einen nuklearen Sprengsatz an Terroristen verkaufte, und in einem Rennen gegen die Zeit gelang es Team Dark Wing, New York City vor der Detonation einer Atombombe zu bewahren. Abgesehen von allem anderen, was geschehen war, war ich verdammt stolz darauf.
Auf unserem Lebensweg begegnen wir vielen Leuten und machen Erfahrungen, die unsere einmal
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