Traumfrau mit Fangzähnen
Atmen hier unten zunehmend erschwerten. Doch meine Sorge war vollkommen unbegründet. Auf Onkel Brents Terrasse gab es einen offenen Ofen, in dem ein üppiges Feuer aus Apfelholz loderte. Wärmelampen schienen von den Bäumen, und es herrschte gerade so viel Licht, dass man die Wachmänner, die über das Gelände patrouillierten, bequem ignorieren konnte. Es saß noch ein anderes Pärchen auf der Terrasse, das jedoch abwechselnd in Streiten und Küssen vertieft war. »Ein weiterer Fitzmaurice und seine Verlobte«, wisperte Fitz mir zu, als wir auf dem Weg zur Feuerstelle an ihnen vorbeigingen. »Hallo Joan, Kevin«, sagte er, ohne stehen zu bleiben. »Hallo, Saint Fitz«, grüßte Kevin zurück und vergaß danach augenblicklich wieder, dass wir existierten.
Fitz und ich ließen uns in die weichen Polster eines Korbsofas nahe der Feuerstelle sinken. Ich fragte mich, ob Fitz wohl Annäherungsversuche unternehmen würde, doch er ergriff lediglich meine Hand und hielt sie fest. »Du bist eine von den Guten, Daphne«, sagte er.
»Du kennst mich doch überhaupt nicht«, entgegnete ich. »Ich bin alles andere als gut.«
»Oh doch, das bist du. Ich habe genug von dir kennengelernt, um das zu wissen. Und ich genieße es sehr, dass du hier bist. Ich hasse diese offiziellen Abende. Seitdem Jessica mich verlassen hat, habe ich nicht mehr die Kraft aufgebracht hinzugehen. Dir macht es doch nichts aus, dass ich über sie spreche, oder?«
»Aber nein. Ich sagte dir ja schon, ich höre gern zu.«
»Würde es dich langweilen, wenn wir eine Weile lang einfach nur hier sitzen?«, fragte er und starrte in die Flammen.
»Überhaupt nicht«, erwiderte ich. Er legte seinen Arm um meine Schultern und zog mich an sich, aber die Situation war eher freundschaftlich denn verführerisch. Wir saßen schweigend nebeneinander, und die Flammen tanzten hypnotisierend vor unseren Augen. Fitz’ Augenlider senkten sich langsam, und schließlich schlief er ein. Ich jedoch blieb wach, starrte weiter ins Feuer, und schon bald entführten mich meine Gedanken zu einer anderen Party, die ich vor etwa zweihundert Jahren in London besucht hatte.
An jenem längst vergangenen Winterabend stieg ich, das Gesicht maskiert, den Körper in scharlachroten Satin und steife weiße Spitze gehüllt, die Treppe in den überfüllten Saal des Almack’s-Clubs hinab. Alle Köpfe wandten sich zu mir um, und ein Flüstern ging durch die Reihen. Auch Lord Byron sah mich an. Seine Augen verengten sich, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, und ich hatte den Eindruck, dass er während dieses kurzen Blickes beschloss, ich sei eine köstliche, reife Frucht, die es zu pflücken galt. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis er schließlich vor mir stand. Er sah atemberaubend gut aus. Sein Gesicht war von sanfter, beinahe leuchtender Schönheit, doch mit seinen breiten Schultern, den schmalen Hüften und dem selbstsicheren Auftreten verströmte er eine Männlichkeit, die die Luft um ihn herum auflud. Ich senkte meine Maske und sah ihn an. Die nackte Gier, mit der er meinen Blick erwiderte, ließ mich erschauern.
Byron war erst zwanzig Jahre alt und demnach erst ein Jahr später volljährig. Dennoch bereitete er den Klatschmäulern der Stadt ein Fest, indem er während seines Londonaufenthaltes einen Skandal nach dem anderen heraufbeschwor. Er frönte ungehemmt dem Glücksspiel, häufte Schulden an und erwies sich als Wüstling, der sowohl Frauen als auch Männer in sein Bett zerrte. Doch hinter dieser bekannten Fassade erkannte ich eine unendliche Traurigkeit. Was hatte bloß diesen gehetzten Ausdruck in seinen Augen verursacht? Er verkörperte genau die Mischung von Schurke und Dichter, der ich nicht widerstehen konnte. Ich hatte dieses Treffen genauestens geplant, um ihn zu verführen, um ein Teil des »Abgrunds der Sinnlichkeit« zu werden, als den er jenes Jahr seines Lebens später beschreiben sollte. Ja, das war beschämend und unmoralisch. Na und? Ich war ein Vampir, und ich hatte mich noch nie verliebt.
»Edle Dame, wie mag wohl Ihr Name sein?«, fragte er, nahm meine Hand und führte sie an seine Lippen.
»Daphne Castagna, Lady Webster«, murmelte ich. Die Stelle, die er geküsst hatte, prickelte noch leicht.
»Lady Webster?«, wiederholte er amüsiert. »Oh, das bezweifle ich. Sie sind kein bekanntes Mitglied der Oberschicht, Ihr Akzent ist kontinental, nicht englisch, und Ihre Schönheit ist derart ätherisch, dass Sie geradezu überirdisch
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