Traumfrau mit Geheimnis
vermied es, den Mann neben ihr anzusehen. Nicht einmal, als sie zur gleichen Zeit nach einer Schüssel griffen und ihre Hände sich kurz berührten, blickte sie auf. Gerade da nicht. Sie war viel zu verwirrt über den Funken, den sie bei der minimalen Berührung gespürt hatte, und der von Rechts wegen nicht hätte da sein dürfen.
Wie sie vermutet hatte, waren die drei Pärchen auf Urlaubsreise. Zwei waren bereits pensioniert und reisten ständig, während das dritte Ehepaar seinen zweiwöchigen Urlaub für eine Rundreise durch die Südstaaten nutzte. Ihre Stammgäste aus Alabama stellten sich vor und priesen ihre Speisekarte und ihr Kochbuch. Und dann war er an der Reihe.
Auch wenn sie sich bemüht hatte, ihn nicht anzusehen, war es unmöglich, ihn zu ignorieren. In seinem dunklen Anzug, der gestreiften Krawatte und dem weißen Hemd wirkte er fehl am Platz, doch daran lag es nicht. Ganz gleich, welche Kleidung er trug, er war einfach niemand, den man übersah. Er hatte eine beeindruckende Ausstrahlung, der sie sich nur schwer entziehen konnte. Ein paar Mal musste sie sich geradezu zwingen, ihn nicht anzusehen.
Wahrscheinlich war er verheiratet. Gut aussehende Männer wie er waren selten ohne Anhang. Natürlich trug er keinen Ring, aber das hatte heutzutage ja nicht viel zu bedeuten.
Er wirkte, als hätte er normalerweise jede Situation unter Kontrolle und fühlte sich selten fehl am Platz. Seltsam, dass er gerade hier so angespannt war. Während die anderen Gäste lächelten, plauderten und es sich schmecken ließen, verzog er kaum eine Miene.
Wenn er nicht hier sein wollte, wieso war er dann gekommen?
„Dean Sinclair“, stellte er sich vor, und das war alles. Offenbar hatte er nicht die Absicht, den anderen mehr über sich mitzuteilen. Reva fand das ziemlich unhöflich, da die anderen alle erwähnt hatten, woher sie kamen, was sie herbrachte und was sie machten, wenn sie nicht auf Reisen waren. Dean schien zu glauben, dass es reichte, wenn er seinen Namen nannte.
Auch gut.
Die anderen Gäste waren damit allerdings nicht zufrieden.
„Wo wohnen Sie, Mr Sinclair?“, fragte Sharon.
Er blickte zu ihr hinüber und zögerte. Reva beobachtete ihn, während sie alle auf seine Antwort warteten. Liebe Güte, der Mann war atemberaubend attraktiv. Er hatte ein markantes Kinn, eine gerade, perfekt geformte Nase, volle Lippen und unglaublich blaue Augen. Letzte Nacht hatte sie seine Augenfarbe natürlich nicht sehen können. Zum Glück schien auch er sie tatsächlich nicht wieder zu erkennen.
Ein Mann mit Geheimnissen, dachte sie, als sein Schweigen sich ausdehnte. Jemand, der die Welt einer gutgläubigen Frau gewaltig durcheinanderbringen konnte. Zum Glück gehörte Reva nicht mehr zu der Sorte, die einem gut aussehenden Mann alle Lügen fraglos abkaufte. Eine Lektion hatte ihr mehr als gereicht.
„Atlanta“, sagte er schließlich.
„Was bringt Sie nach Somerset?“, fragte einer der Pensionäre. Es war allen klar, dass dieser Gast im Anzug nicht auf Urlaubsreise war.
Wieder zögerte er. „Ich plane, hier ein Geschäft zu eröffnen.“
Reva blickte ihn erstaunt an. „Was für ein Geschäft?“ Somerset wurde nicht oft von Geschäftsmännern in Anzügen besucht.
Er erwiderte ihren Blick, mehr als das, er sah ihr in die Augen und atmete tief durch. Beinah lächelte er sogar. Es war dasselbe widerwillige schiefe Lächeln, das er ihr am Vorabend gezeigt hatte. Als wäre er gegen seinen Willen amüsiert. „Ich habe ein Baugeschäft, spezialisiert auf die Reparatur und Erhaltung alter Häuser. Die Architektur des 19. Jahrhunderts hat mich immer schon fasziniert.“
Damit war sie wohl ertappt. Womit hatte sie sich verraten? Oder interpretierte sie sein Lächeln falsch und er hatte sie doch nicht erkannt?
So wichtig war es sowieso nicht. Sicher, sie hatte ihn peinlicherweise bedroht, wo er offensichtlich unschuldig war, aber immerhin war er auf ihrem Grundstück herumgeschlichen.
Ein Handwerksbetrieb! Reva vergaß fast augenblicklich seine unglaublich blauen Augen, seine unberingten Hände und ihre Verlegenheit. Stattdessen dachte sie an das wackelige Treppengeländer im oberen Stock, die losen Ziegel im Küchenkamin und die vor sich hinrottende Veranda auf der Rückseite des Hauses. „Wie interessant“, sagte sie.
„Ich bin nicht sicher, dass wir uns hier niederlassen werden“, erwiderte er schnell. „Wir bleiben nur für ein paar Tage, um die Stadt und die Einwohner kennenzulernen.“
„Wir?“
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