Traumhafte Tage in Sydney
flüchten? grübelte sie. Vielleicht vor den Erinnerungen an seine Ehe? Laut Alice war Justins Frau ein gemeines Stück gewesen. Aber warum hätte er sie dann heiraten sollen? Auf sie machte Justin nicht gerade einen naiven Eindruck.
Beziehungen sind etwas furchtbar Kompliziertes, dachte Rachel, während sie Justin durch den Gang zwischen den Sitzreihen folgte und von den Stewardessen begrüßt wurde. Und selten wusste jemand außer den beiden Partnern, was in einer Ehe wirklich vor sich ging. Natürlich gab Alice ihrer Schwiegertochter die Schuld daran, dass die Beziehung gescheitert war – aber konnte Justins Mutter wirklich beurteilen, was zwischen den beiden passiert war?
Justin blieb neben einer Sitzreihe stehen und wandte sich um. “Sie können sich ans Fenster setzen”, sagte er. “Mir macht es nichts aus, am Gang zu sitzen. Dort habe ich mehr Platz für meine Beine.”
“Vielen Dank.” Rachel freute sich, denn sie sah gern während des Flugs aus dem Fenster. Sobald sie saß, nahm sie ihr Buch aus der schwarzen Umhängetasche. “Hoffentlich regnet es an der Gold Coast nicht”, sagte sie und sah hinaus auf den verregneten Himmel.
Justin hob den Blick von der Zeitung. “Laut Wetterbericht scheint dort die Sonne, und es wird bis zu siebenundzwanzig Grad warm. So soll es auch das ganze Wochenende über bleiben.”
“Das klingt großartig.” Rachel seufzte zufrieden.
Sie vertiefte sich in die Familiensaga, als Justin seine Aufmerksamkeit wieder der Zeitung zuwandte. Sie hatte das Buch vor einigen Tagen zu lesen angefangen und war noch nicht sehr gefesselt. Doch da ihr die Autorin sonst immer gefallen hatte, würde das sicher noch kommen. Bald war sie so vertieft in die Fantasiewelt des Buches, dass sie den Mann nicht bemerkte, der das Flugzeug kurz nach ihr betrat – und seine Begleiterin ebenso wenig. Sie hätte das Paar sonst sofort erkannt.
Auch am Flughafen in Coolangatta sah sie die beiden in der Menschenmenge nicht, weil sie sich angeregt mit Justin unterhielt, während sie beide an der Gepäckausgabe warteten. Und im Foyer des “Sunshine Gardens”-Hotel bemerkte Rachel das Paar ebenfalls nicht, weil sie und Justin bereits mit dem Fahrstuhl zu ihrem Apartment fuhren, als der Mann und die Frau eintrafen.
Vielleicht hätte Rachel die beiden erst beim Dinner am folgenden Tag gesehen, was zu einer noch größeren Katastrophe geführt hätte. Doch es kam anders. Sie stellte fest, dass sich die Tür des Apartments mit der Keycard, die sie an der Rezeption erhalten hatte, nicht öffnen ließ.
“Offenbar ist sie kaputt”, meinte Justin. Seine Karte funktionierte einwandfrei. “Ich werde gleich bei der Rezeption anrufen und eine Ersatzkarte bringen lassen.”
“Ich gehe lieber selbst runter und hole sie”, erwiderte Rachel. “Sie haben ja selbst gesehen, wie viel die Angestellten dort zu tun haben.”
“Rachel, manchmal sind Sie wirklich zu nett und rücksichtsvoll.”
“Nein, eigentlich nicht. Es ist meistens nur einfacher, Dinge selbst zu erledigen – statt lange darauf zu warten, dass jemand anders dies endlich tut.”
“Das ist wahr. Deshalb habe ich auch mein Gepäck selbst heraufgetragen. In dieser Hinsicht bin ich Ihnen sehr ähnlich: Ich warte nicht gern. Wenn ich etwas möchte, will ich, dass es
sofort
passiert. Dann laufen Sie also noch einmal los. Ich werde Ihren Koffer hineinbringen und dann Kaffee machen. Oder möchten Sie lieber einen Drink?”
“Erst mal hätte ich gern einen Kaffee. Aber Sie brauchen ihn nicht zu machen.”
“Ich weiß. Ich möchte mich aber gern bei Ihnen revanchieren.”
“Justin, manchmal sind Sie wirklich zu nett und rücksichtsvoll”, sagte Rachel lächelnd, während sie hinausging. Justin lachte.
Sie hatte keine böse Vorahnung, als sie mit dem Fahrstuhl nach unten fuhr. Warum auch? Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Sie betrat das Foyer und ging über den mit Terrakottakacheln bedeckten Boden zur Rezeption. Das Foyer erinnerte sie an ein Hotel, in dem sie mit Eric einmal Urlaub gemacht hatte: hohe Wände, kühle, dezente Farben und Glasfassaden, durch die man einen wunderschönen Blick auf die üppig begrünten Gartenanlagen mit den vielen Bassins und Brunnen hatte. Eric …
Eric war mit Abstand der egoistischste Mann, dem sie je begegnet war. Wenn sie damals gewusst hätte, wie oberflächlich er war, hätte sie sich bestimmt nicht in ihn verliebt – geschweige denn, seinen Heiratsantrag angenommen. Aber jetzt wollte sie nicht mehr
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