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Traumjaeger und Goldpfote

Traumjaeger und Goldpfote

Titel: Traumjaeger und Goldpfote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nadeldünnen Felsens, Hunderte von Sprüngen über einem nebelverhangenen Wald. Von seinem Sitz nach unten blickend, hörte er die Stimmen der Kreaturen, die unten in den Nebeln nach ihm jagten – dünne Stimmen, deren Klang in seine Ohren stieg. Es war kalt auf dem Felsen; ihm war, als sei er schon immer dort gewesen. Tief unten erstreckte sich das gefrorene grüne Meer des Waldes bis in unendliche Fernen.
    Obgleich er wusste, dass er sich in Gefahr befand, empfand Traumjäger keine Furcht, sondern nur ein dumpfes Vorgefühl von dem, was unvermeidlich geschehen musste: Bald würden die Jäger unten in den Wäldern alle Verstecke abgesucht haben, zwangsläufig würde sich ihre Aufmerksamkeit auf die Felsennadel richten. Die glühenden Augen würden den Boden am Fuß des Felsens absuchen, dann sich nach oben richten …
    In die wirbelnden Nebelschleier hinausblickend, welche die Trennlinie zwischen Erde und Himmel verwischten, sah Fritti, wie die Nebelschwaden zu einem seltsamen, spiralförmigen Gebilde zusammenflossen. Mit der Schnelligkeit und Vollkommenheit, wie sie Traumfiguren eigen sind, verwandelte es sich in eineweiße Katze, die sich unaufhörlich drehte, während sie sich seinem Horst näherte. Gleichwohl war es nicht die weiße Katze aus seinem Alptraum in Erstheim.
    Als die sich drehende Figur näher kam, war sie zu Schimmerauge geworden,
Oel-var’iz
der Erst-Geher.
    Vor Fritti im Raum schwebend, sang Schimmerauge mit hoher, durchdringender Stimme: »Selbst der
Garrin
fürchtet sich vor etwas … selbst der
Garrin
hat Furcht …«
    Plötzlich erhob sich ein mächtiger Wind und brachte die Nebel zum Tanzen. Schimmerauge wirbelte fort in die Schwärze. Der Wind fuhr durch die Bäume und umwehte Traumjägers Felsen. Unten hörte er die Jäger Schreie der Furcht und Verzweiflung ausstoßen. Schließlich waren nur noch die treibenden Nebel da und das Heulen des Windes und verlorene Stimmen …
     
    Traumjäger erwachte auf dem heißen, feuchten Boden seines Gefängnisses inmitten der schlafenden Körper seiner Mitgefangenen. Er versuchte, die Scherben seines Traums festzuhalten, die just dahinzuschmelzen begannen wie Frost in der Sonne.
    Schimmerauge. Was hatte der
Oel-var’iz
ihm an jenem Tage und vor so langer Zeit gesagt? Sie hatten sich von Zitterkralle und seinen Gefährten verabschiedet …
    »… jeder flieht vor dem Bären … doch manchmal hat der Bär böse Träume …« In seinem Traum hatte Schimmerauge ebenfalls den
Garrin
erwähnt, den Bären – aber was bedeutete das? Es hatte gewiss nichts mit einem wirklichen
Garrin
zu tun. »Jeder flieht vor dem Bären …« Konnte Kaltherz damit gemeint sein? Böse Träume … gab es etwas, das sogar Fürst Kaltherz fürchtete? Was?
    Frittis Gedankenspiele wurden durch die Ankunft der Krallengarde unterbrochen. In dem darauf folgenden Durcheinander – die Sklaven erhoben sich zögernd und kletterten zum Eingang hinauf, um ihr karges Frühstück einzunehmen – wurdenTraumjägers Traumbilder immer blasser und dann von der grausamen Wirklichkeit ausgelöscht.
    Seit Fritti in den Vastnir-Hügel gekommen war, hatte sich über der Erde ein Auge geöffnet, geschlossen und abermals geöffnet. Die grausame Alltäglichkeit, die harten Bestrafungen und die schreckliche Umgebung hatten ihm den größten Teil seiner Widerstandskraft ausgetrieben. Er dachte kaum noch an seine Freunde. Seine Unfähigkeit, ihnen oder sich selbst zu helfen, war so schrecklich wie seine Gefangenschaft. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen war ärgerlicher, als mit allen anderen im Schmutz zu versinken, um Maden zu kämpfen und um einen Essplatz zu streiten – und allezeit ein wachsames Auge auf die Krallengarde zu haben. Oder auf die Zahngarde. Es war leichter, alles geschehen zu lassen, von Augenblick zu Augenblick zu leben.
    Einmal lief ein gedämpftes Gezischel durch die Reihen der Tunnelsklaven: »Die Knochengarde kommt!« Rasselnd waren die Schattengestalten aus einem nicht benutzten Tunnel hervorgekommen, und das Licht schien dunkler geworden zu sein. Alle anderen Gefangenen hatten sich zu Boden geworfen und ihre Augen fest geschlossen – sogar die Krallenwächter hatten nervös ausgesehen, und ihr Fell hatte sich gesträubt. Fritti hatte flüchtig den Drang verspürt, stehen zu bleiben, um dem ins Auge zu sehen, dessen entsetzliche Gegenwart sogar den ungeschlachten Wächtern Furcht einjagte. Als aber die fremdartigen Stimmen näher kamen und der widerliche, würzige Duft auf

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