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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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die Natur aufzuheben, die Atome in ihre relative Ruhelage zu bringen und zum ursprünglichen Nichts, zum Nullpunkt des Seins, zurückzukehren.“
    „Das ist eine Roheit der Gesinnung“, fuhr Magnet auf, „mit der du Aromasia, mit der du mich beleidigst! Seit wann ist es Sitte, so rücksichtslos sich zu äußern?“
    „Und mit welchem Rechte stellst du mich zur Rede?“ fragte Oxygen aufstehend.
    „Ich erteile ihm dies Recht“, rief Aromasia. „Denn gegen dich bedarf ich des Schutzes. – Unerhört sind solche Auftritte nach unseren Begriffen. Ich gehe. Begleiten Sie mich, Magnet.“
    Die Gesellschaft trennte sich.
    Aromasia und Magnet warfen sich in eine Luftdroschke und flogen nach Aromasias Wohnung.
    „Es ist schädlich!“ sagte Magnet. „Oxygen, der ‚Nüchterne’, der große Mann des vierundzwanzigsten Jahrhunderts, der eben das Wort gesprochen: Ich erkläre einen persönlichen Streit aus theoretischer Meinungsverschiedenheit für unmöglich! Wo ist hier jene selige Ruhe des Gemüts, die aus der Erkenntnis fließen soll? Gehässige Angriffe gegen das, was das Heiligste für unsere Empfindung ist, Verletzung unserer innersten Interessen, das nennt er Objektivität der Betrachtung! Weinen Sie nicht, Aromasia! Er ist der Absonderung Ihrer Tränendrüsen nicht wert, welche die Kapillaranziehung Ihrer Augenwimpern nur mühsam gegenüber der Schwerkraft der Erde zurückhält! Weinen Sie nicht – setzen Sie sich ans Ododion, hier spielen Sie!“
    Aromasia sprang auf.
    „Nein“, rief sie mit blitzenden Augen, „er ist der Trauer nicht wert! Oh, ich wußte es – ein Nüchterner! Ich wußte es! Aber – Rache!“
    „Bleiben Sie ruhig, Aromasia, ich werde Sie rächen! Sie und mich! Ich werde uns rächen, wie es die Gesetze der Ehre erfordern, aber schärfer, als er es erwarten wird. Räuchern Sie, phantasieren Sie – ich sammle dabei meine Gedanken. Oxygen weiß sehr wohl, daß wir an die öffentliche Meinung appellieren müssen und werden; aber wie, wie wir ihn zerschmettern – das kann er nicht ahnen. Schon dämmert mir’s! Aromasia – Sie spielen bezaubernd!“
    Aromasia saß am Ododion und phantasierte. Groll, Haß, Verzweiflung sprachen aus den betäubenden, nasezermalmenden Düften und rissen den Zuriechenden unwiderstehlich hin, bis sich alles im tiefen Schmerz der enttäuschten Liebe auflöste.
    Magnet aber ruhte im Hängestuhl und sann auf das anklagende Rachegedicht gegen Oxygen. Auf dem Nullpunkt des Seins wollte er ihn darstellen, wie er ganz allein existierend ohne Raum und Zeit unsichtbar auf den gleichfalls unsichtbaren Leichnamen der Kunst und Sitte Hullu-Kullu tanzte! Das war der neueste Modetanz, dessen Pointe im Zusammenrennen der Köpfe bestand.
    Eilig schrieb er über den Zeilen des Gedichts. Schon in der nächsten Stunde sollte es auf allen öffentlichen Zeitungstafeln an den Ecken durch telegrafischen Selbstdruck erscheinen. Es mußte eine niederschmetternde Wirkung üben und den Angegriffenen in Gesellschaft und Welt vernichten. Heute abend, wenn Aromasia im Odoratorium spielte, mußte sich die Wirkung zeigen. Triumphierend las Magnet sein Produkt Aromasia vor, welche es ododramatisch begleitete.
    Widerstrebende Empfindungen kämpften in Aromasias Herzen; zu ihren Füßen saß Magnet, zufrieden und glücklich im Gefühl der befriedigten Rache und der innigsten Anbetung der Künstlerin, welche aus Essigäther und Zwiblozin die herrlichsten Gase mischte und den Augen heiße Tränen entlockte. Draußen aber, an den Türritzen, an den Fensterspalten, an den Öffnungen des Rauchfanges, drängte sich die duftsaugende Menge, die bezaubernden Phantasien der großen Ododistin zu erhaschen.
     
    III  DIE RACHE IM ODORATORIUM
     
    Das Odoratorium, die Stätte für öffentliche Geruchs-Aufführungen, war zu Konzertsaal und Theater als ein unentbehrlicher Erholungsort getreten. Es war das berühmteste und besuchteste Odoratorium der Stadt, für welches Aromasia dauernd engagiert war. An einem Tage wie dem heutigen, an welchem man Aromasias Auftreten angekündigt hatte, wurde die Kasse schon am Morgen von dichten Mengen Riechbegieriger belagert, zumal es in der Natur der Ododik lag, daß die Odoratorien nur für eine verhältnismäßig geringe Zahl von Zuriechern gebaut werden konnten. So hatte die Aufsichtsbehörde genug zu tun, um die allzu kunsteifrigen Luftvelozipedisten zurückzuhalten, welche durchaus über die Köpfe der Harrenden hinweg in das Ausgabefenster dringen wollten.
    Eine

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