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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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selbst einstellte. Die langen Vorderbeine vorstreckend, schritt es auf die Wand zu, wo es sich mit den Fußenden festsaugte, in die Höhe zog und dann mit den übrigen Beinen sich ebenso festhielt und aufwärts schob. So kletterte es wie eine Wespe an der Wand empor. Nun war die Hochebene erreicht, und es ging wieder im Galopp vorwärts, bis Hei vorsichtig vor einer tiefen, trichterförmigen Einsenkung halt machte. Steil senkte sich hier der Boden, in bunten Farben leuchteten die Wände der Senkung. Die Reisenden befanden sich vor einer der Pflanzenoasen der Wüste Burr, in denen sich das ganze Jahr hindurch Feuchtigkeit sammelte und hielt.
    „Hier unten wohnen die Dukchen“, sagte Hei. „Die Blüten haben wir natürlich überholt, ohne sie zu sehen, da sie sehr hoch geflogen sind. Aber ehe wir hinunterkommen, werden sie schon anlangen und sich festsetzen, denn sehr lange halten sie es in der Luft nicht aus. Wir können auch nur ein kleines Stück mit dem Auto hinab, dann fängt das dichte Gebüsch an, und wir müssen zu Fuß klettern. Ich kenne den Platz, wir waren voriges Jahr mit unserem Naturlehrer hier.“
    „Ach“, rief Ha, „als du die eßbaren Steine mitbrachtest? Die will ich auch suchen, die schmeckten zu gut!“
    „Wir wollen sehen.“ –
    Am Gebüsch angelangt, verließen die Kinder den Wagen und kletterten zwischen Sträuchern und Steinen abwärts. An einer Stelle zeigte sich eine Felsenspalte. „Hier geht’s hinein“, sagte Hei lächelnd.
    „Zu den Dukchen?“ fragte Ha. „Nein, zu –“ Hei machte eine Pantomime, als stecke er etwas in den Mund.
    „Eßsteine! Ach, bitte, bitte!“
    Die Spalte erweiterte sich zu einer geräumigen Höhle, die von oben her Licht erhielt. Hei suchte an den Seitenwänden, dann brach er eine Platte des mürben, schieferartigen Gesteins ab. „Da“, sagte er, „du mußt es in kleine Stücke zerbrechen.“
    Ha griff eifrig zu. „O, fein, fein! Herrlich schmeckt das. Woher kommt der Stein?“
    „Vor vielen Millionen Jahren wuchsen hier große Wälder mit vielen, vielen Blüten; dort legten zahllose Bienen große Vorratskammern von süßem Saft an. Später wurden die verschüttet, es kamen die trocknen Wüstenzeiten, der Saft wurde fest, und er hielt sich – er ist sozusagen versteinerter Honig.“
    Die Geschwister erquickten sich an den Steinen und sammelten eine reichliche Menge. Denn kehrten sie in die Senkung zurück und stiegen weiter hinab.
    Hei hatte eben eine rot leuchtende Stelle vor ihnen, die Blumenschlucht, als den Standplatz der Dukchenpflanzen bezeichnet, da rief Ha, sich umblickend, plötzlich: „Sieh, was von dort oben herabfliegt, sind das nicht –?“
    „Gewiß, das sind unsere Blüten. Warten wir, bis sie vorüber sind.“
    „Aber da unten, was ist denn dieses Graue, das da hervorkriecht?“ Hei starrte hin. Vom Grunde des Trichters her schob sich eine graue Masse und zog sich um die ganze Einsenkung wie ein schlangenförmiger Wulst herum. Von dort wälzte sie sich höher und höher. „Um Gotteswillen!“ stöhnte Hei. Er ergriff Has Hand und zog sie nach sich. „Nach oben, so schnell uns die Füße tragen!“
    „Was ist, was ist?“
    „Der Tiefenwurm! Es kann nichts anderes sein. Wenn er uns einholt, sind wir verloren! Wir müssen das Auto erreichen!“
    Es gab keine Zeit zu Erklärungen. Beide rannten, so schnell sie konnten, den Abhang hinauf. Aber schneller noch war der Tiefenwurm. Zu gewissen Zeiten quellen vom Grunde des Bergkessels her Nebel empor, mit Gasen vermischt, die der Mensch nicht einatmen kann, ohne zu ersticken. Da sie ähnlich einer riesigen Schlange am Abhänge hinkriechen, nannte man sie den Tiefenwurm. Hei hatte zwar davon gehört, glaubte aber, daß sie nur am frühen Morgen aufstiegen.
    Näher rückte die Masse. „Ich kann nicht mehr!“ rief Ha. Sie stürzte. Hei versuchte sie auf den Arm zu nehmen. „Nur noch ein paar Meter, dann sind wir am Auto!“ Er warf einen Blick rückwärts. Da wehte es heran, eisig – jetzt war es da – zwei Schritte noch, da brach er mit der Schwester zusammen. – Der Tiefenwurm kroch über die Kinder hinweg.
    Wenige Minuten später war die Stelle wieder frei. Der Nebel erreichte den Rand der Einsenkung und verlor sich unschädlich in der Wüste.
    Die Kinder lagen bewußtlos, nahe an ihrem Kletter-Auto. Aber seltsam – ihre Gesichter waren völlig bedeckt, jedes von einer großen, dichten, gelb- und grünschimmernden Haube. Jetzt bewegten sich diese Hauben, sie lösten sich

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