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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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ab, die Kinder begannen wieder zu atmen – jetzt schlugen sie die Augen auf – sie waren gerettet. Die fliegenden Dukchenblüten hatten die Kinder bemerkt und die Gefahr, in der sie schwebten. Den Pflanzen schadet der Tiefenwurm nichts, im Gegenteil, sie gedeihen gerade in diesen Gasen. Da hatten sich die Blüten im rechten Augenblick auf die Kinder gestürzt und ihr Gesicht bedeckt und geschützt, so daß sie nur den heilsamen Duft der Blüten atmeten.
    „O, ihr lieben Blüten, du liebes, liebes Dukchen!“ sagte Ha, als sie zur Besinnung kam. „Ihr habt uns gerettet, und wir wollten euch fangen! Nein, nie wieder wollen wir einer Pflanze die Freiheit rauben! Das verspreche ich euch“, sagte Hei. „Habt Dank, habt Dank!“ – –
    Das Auto galoppierte mit den Kindern davon; noch einmal winkten sie oben vom Rande der Schlucht.
    Die Blüten aber flogen hinab und siedelten sich fröhlich in ihrer Heimat an.

 
Gegen das Weltgesetz
     
    Erzählung aus dem Jahre 3877
     
    I  EINE ERZIEHUNGSANSTALT IM JAHRE 3877
     
    „Von der Rindenschicht im Gehirn Ihres Sohnes steht Ihnen gesetzlich die Bestimmung über ein Drittel zu; in bezug auf dieses können Sie eine Gewöhnung der Zellen zu speziellen Vorgängen der Spannung, Leitung und Bewegung nach Ihren Wünschen vornehmen lassen.
    Ein Drittel bleibt, wie Sie wissen, zur späteren eigenen Verfügung Ihres Sohnes behufs Ausbildung seiner Gehirnfunktionen reserviert, während das letzte Drittel nach § 111 des Unterrichtsgesetzes vom 22. Januar 3854 in einer öffentlichen Anstalt für allgemeine Bildung zu präparieren ist.
    Wollen Sie mir nun gütigst angeben, für welche Disziplinen Sie die Präparierung des Großhirns wünschen?“
    So sprach der Direktor des Pädagogiums und Professor der Geschichte, Herr Strudel-Prudel, zu einem Herrn, welcher seinen hoffnungsvollen Sprößling im Alter von drei Jahren eben als Zögling des Pädagogiums angemeldet hatte.
    „Ich würde dann bitten“, antwortete der Vater, „ihn für Physik und Chemie zu präparieren und zugleich etwas Talent für Musik hervorzurufen.“
    Der Direktor notierte das Gewünschte, indem er sagte: „Ihr Sohn … Wie heißt er?“
    „Selen.“
    „Selen Propion – schön. Ihr Sohn wird demnach zur Klasse C, Abteilung I der naturwissenschaftlichen Sektion unserer Vorbereitungsanstalt gehören. Behandlung und Unterricht daselbst sind unentgeltlich; für die Erzeugung des musikalischen Talents haben Sie jedoch behufs Verfeinerung der Mechanik des Ohres ein monatliches Honorar von hundert Goldgramm {4} zu zahlen. Der Unterricht beginnt morgen. So, das wäre das Geschäftliche. Und nun, Herr Propion, wenn es Ihnen Vergnügen macht, zeige ich Ihnen einmal unsere Anstalt.“
    Typus Propion nahm gern den Vorschlag an. Er war Besitzer einer chemischen Fabrik für Lebensmittel und von früher her mit dem Direktor Strudel-Prudel bekannt, obgleich die Männer im Drange der Geschäfte einander selten sahen. Da Propion von der inneren Organisation einer großen Erziehungsanstalt sehr wenig wußte, war es ihm um so angenehmer, von einem Fachmanne von solchem Rufe, wie Strudel, darüber belehrt zu werden und namentlich die mechanischen Einrichtungen kennenzulernen.
    Die Anstalt zerfiel nach Maßgabe des neuen Unterrichtsgesetzes in zwei Teile, eine Vorbereitungsanstalt und eine Lehranstalt oder, wie man sie auch nannte, in die „Hirnschule“ und die „Akademie“. In der „Hirnschule“ wurde überhaupt kein Lehrstoff benützt, diese Abteilung diente nur dazu, das Gehirn der Kinder zur späteren Aufnahme desselben geeignet zu machen. Dies geschah auf rein mechanischem, daß heißt physiologischem Wege.
    Wir müssen hier um Entschuldigung bitten, wenn der Ausdruck mitunter den realen Vorgang nicht genau trifft. Die Sprache des 19. Jahrhunderts, in der wir noch reden müssen, ist eben nicht immer fähig, den neugewonnenen Einsichten der Zukunft zu folgen. So gäbe es ein schiefes Bild, wenn man sich vorstellen wollte, das Gehirn nähme etwa den Lehrstoff auf wie das Glas den Wein. Es handelt sich um die Ausbildung einer Art von Schematismus, der gewissen Bewußtseinsvorgängen entspricht; auch der Schwimmer, der Tänzer machen Vorübungen, denen sich dann die entsprechenden Muskelbewegungen leichter anschließen.
    Fast schon seit zweitausend Jahren war die Psychophysik, die Lehre von den Gesetzen des Bewußtseins, ein selbständiger Zweig der Psychologie geworden, und das Studium der Gehirnfunktionen hatte zu

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