Traumkristalle
einer vollständigen Theorie derselben geführt. Die Folgen, welche diese Entdeckungen für das Gebiet der Künste und Wissenschaften hatten, werden später zur Erörterung kommen; hier soll uns zunächst die Anwendung auf die Pädagogik interessieren.
Man kannte jetzt bis ins kleinste hinein die Bewegungs- und Spannungsvorgänge in den Nerven und den Zellen der grauen Gehirnsubstanz, welche die Vorgänge des Bewußtseins, die Reihe der Vorstellungen und die logische Schlußbildung begleiten; man wußte, welche Zellen bei der Leitung bestimmter Wahrnehmungen und der Bildung bestimmter Gedankenfolgen tätig sind und in welcher Weise sie tätig sind; man konnte daher umgekehrt durch künstliche Reizung, namentlich durch den galvanischen Strom, auch die einzelnen Partien und Provinzen des Gehirns zu Bewegungen veranlassen, welche der Bildung bestimmter Vorstellungen entsprechen, und schließlich – worauf es ankam – sie so gewöhnen, daß gewisse Arten des Denkens mit besonderer Leichtigkeit vollzogen werden konnten. Denn wenn es auch ohne Vorstellungsinhalt keine allgemeinen Formen des reinen Denkens gibt (es sei denn in unserer Abstraktion), so gibt es doch einen Schematismus und mit ihm einen dauernden Apparat und Mechanismus des Denkens, welcher in dem Wechsel des Vorstellungsinhalts in seinem Wesen beharrt; daher läßt dieser Denkapparat eine Veränderung und Ausbildung in dem einen oder anderen Sinne zu und macht so gewissermaßen den formalen Charakter des Denkens aus. Diesen Mechanismus des Denkens zu bilden war die Aufgabe, welche die Vorbereitungsanstalt oder „Hirnschule“ auf physikalischem Wege löste.
Strudel und Propion traten in die Säle der Hirnschule. Laboratorien wäre ein richtiger Ausdruck. Die ganze Behandlung der Kinder bestand darin, daß dieselben anfänglich zwei, später drei Stunden täglich in eigentümlich konstruierten Apparaten der Einwirkung galvanischer Ströme, welche nach den ausbildungsbedürftigen Gehirnpartien führten, ausgesetzt wurden und daß auch im übrigen mit den feinen und ausgedehnten Mitteln, welche die Chemie des Gehirns im vierten Jahrtausend entdeckt hatte, das Wachstum und die Bewegung der Zellen in der Rindenschicht überwacht und gehütet wurde. War man in früheren Jahrtausenden zu der Einsicht gekommen, daß die Muskeln und Sehnen des Körpers besonderer Übung und Pflege bedürften, wenn im kräftigen Menschen ein heiteres Gemüt sich wohl befinden sollte, so sah man jetzt ein, um wieviel wichtiger noch es sei, den Sitz der Vernunft in seiner Ausbildung sorgsam zu hüten und zu pflegen, um später dadurch eine kräftige Gedankenentwicklung zu erzielen. Dadurch wurden denn überraschende Resultate erreicht.
„Sie sehen hier“, sagte der Direktor zu Propion, „in welcher Weise wir das Turnen des Gehirns betreiben. Da sind unsere Geräte. Im Schlafe, ohne Anstrengung des Kindes, die früher soviel Siechtum verursachte, geben wir hier die Grundlagen der formalen Bildung und schaffen Anlagen, welche der Menschheit die reichsten Früchte tragen. Welche Mühe kostete es früher, einen Menschen nur so weit zu bringen, daß er imstande war, selbständig in eine Wissenschaft einzudringen. Vom sechsten bis zum zwanzigsten Jahre mußte man sich bemühen, mit Latein und Griechisch, Geschichte und Mathematik das Gehirn so weit in Übung zu bringen, daß es fähig wurde, eine logische Gedankenentwicklung zu verfolgen und einigermaßen den Gang der Ereignisse zu verstehen, und dabei konnte man dem Dummen doch nicht helfen. Wie einfach ist die Sache jetzt! Hier ein Zug am Großhirnklappen, ein dauernder Strom durch den Fuß des Hirnschenkels, eine kräftigende Behandlung des Linsenkerns – und nach zwei Jahren ist der fünfjährige Mensch bereit, unbehindert seiner Körperentwicklung in die großen Probleme der Wissenschaft und des Daseins eingeführt zu werden. Hier haben Sie Abteilung eins für exakte Wissenschaften. Hier werden in der ersten Sektion Mathematiker, Physiker und Chemiker propädeutisch erzeugt, in der zweiten Biologen, also im besonderen Ethnologen, Zoologen, Botaniker, Ökonomen und so weiter. In der zweiten Abteilung ist die Werkstätte für Logiker, Metaphysiker, Historiker und Archäologen; die dritte ist für Sprachforscher, Redner und Schriftsteller bestimmt. Die vierte bildet die Organe für das praktische Lebensgeschick, Umsicht, Tatkraft. Geschäftsgeist. Daß die Hirnschule der Kunst und der Sitte mit ihrer Propädeutik für das
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