Traumkristalle
in die Lüfte schwang und, nach Ostnordost steuernd, über den Atlantischen Ozean schwebte.
Die Fahrt war anfänglich günstig und rasch. Lyrika erhob sich über das Gebiet des Nordostpassats und benutzte die Äquatorialströmung zu ihren Gunsten. Schon war sie nicht mehr weit von den Azoren entfernt, als das Wetter sich plötzlich änderte und sie zwang, langsamer vorwärts zu dringen. Allmählich senkte sie sich bis auf einige tausend Meter über die Meeresoberfläche; aber hier war der Wind ihr zu stark entgegen, sie mußte wieder eine höhere Luftschicht aufsuchen, da sie mit ihrem Kraftmaterial zu sparen Ursache hatte. Doch es gelang ihr nicht zu steigen. Zu ihrem Schrecken bemerkte sie, daß ihr Luftschwimmgürtel eine Verletzung erlitten hatte, wahrscheinlich bei der Fahrt durch den Tunnel. Dieselbe hatte sich allmählich zu einem kleinen Riß erweitert und ließ jetzt langsam atmosphärische Luft einströmen. Sie mußte alle Kraft der Schraube anwenden, um sich in gleicher Höhe zu erhalten, aber auch diese ließ nach, und sie sank tiefer und tiefer. Die Wogen schäumten unter ihr, und der Orkan brauste ihr entgegen, an dessen Wut die Kraft der Schraube erlahmte. Schon acht Stunden war sie unterwegs, und hier herrschte bereits völlige Nacht: sie befand sich, soweit sie aus den elektrischen bunten Leuchtfeuern am Horizont erkennen konnte, noch immer zwischen den Azoren, und zwar zwischen den Inseln Graciosa und S. Jorge. Aber nur noch sechzig Meter von den Wegen entfernt, vermochte sie ihren Flug zu halten, und sie mußte suchen die Insel Terceira zu gewinnen.
Die letzte Reserve ihres Oxygenvorrates wurde entfesselt. Noch einmal drehte sich die Schraube, die heute schon seit zwanzig Stunden in Tätigkeit war, in rasender Geschwindigkeit um ihre Achse. Noch einmal wurde die Gewalt des Sturmes überwunden, und die Lichter der Insel erglänzten in der Entfernung von einem halben Kilometer. Da – ein plötzlicher Krach, ein Schrei –, die Schraube war mit einem kanonenschußähnlichen Knall gebrochen. Lyrika stürzte, der Sturm wirbelte sie herum, sie verlor die Besinnung, und die Wogen schlossen sich über ihrem Körper.
IX DIE GEHEIMNISVOLLE KISTE
Kotyledo wartete im Empfangssaal des Ozeanbahnhofs auf Strudel. Seit Jahren brachte der um 5 Uhr 12 Minuten {7} eintreffende Zug den Direktor Strudel-Prudel unwandelbar mit sich. Heute geschah eine Ausnahme; der Zug traf wohl ein, aber ohne Strudel. Kotyledo beschloß zu warten und setzte sich an einen der Tische, von welchem aus er die vorüberflutende Schar der Spazierschwimmer beobachten konnte. Es war eine bunte Menge, denn auch die in der äußeren Form ziemlich gleichmäßigen Taucheranzüge mit ihren runden Helmen hatte man geschmackvoll zu verzieren gewußt. Namenszüge und Embleme ließen die Besitzer erkennen. Der Wirt des Hotels hielt gezähmte Delphine, und manchen Touristen sah man sich dieses sagenberühmten Wesens als Reittier bedienen und als einen modernen Arion dahinfahren. Wer sich mit seinem Nachbar unterhalten wollte, verband zwei von den Taucherhelmen herabhängende Nebenleitungen, wodurch eine Verbindung hergestellt und ein Verkehr ermöglicht wurde, der durch die Stimme allein bei der verschlossenen Kopfbedeckung nicht ausführbar gewesen wäre.
Zug auf Zug fuhr in den Bahnhof, ohne daß Strudel aus einem derselben stieg. Weder der Zug um 5.17 Uhr noch der um 5.22 Uhr, noch einer der nächstfolgenden brachte ihn. Noch drei Züge wollte Kotyledo abwarten, und seine Ausdauer wurde belohnt. Um 6.07 Uhr traf Strudel ein. Kotyledo hatte ihn bald erblickt und eilte ihm entgegen. Zu seinem Erstaunen fand er ihn nicht allein; zwei Arbeiter, mit Stricken, Beilen und Werkzeugen verschiedener Art ausgerüstet, begleiteten ihn.
Strudel begrüßte Kotyledo mit großer Freude.
„Vorzüglich“, rief er ihm durch seinen Schlauch zu, „daß ich Sie hier treffe. Eben war ich in Ihrer Wohnung, ich habe sie auf der Oberwelt gesucht, wo Sie sich jetzt so hartnäckig versteckt halten. Daher meine Verspätung. Ich habe eine wichtige Arbeit vor, und Sie sollen mich dabei begleiten, mir helfen, wenn Sie wollen.“
„Mit dem größten Vergnügen“, entgegnete Kotyledo. „Ich begleite Sie, wohin Sie wünschen, und wenn ich Ihnen nützen kann, so soll es mich freuen. Übrigens war ich hierhergekommen, um meinerseits Ihre Hilfe, Ihren Rat zu erbitten.“
„Und warum?“
„Das erzähle ich Ihnen unterwegs. Doch was für Apparate haben Sie da
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