Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
sollte er uns anlügen? Dann hätte er uns auch gleich umbringen können.«
»Keine Ahnung«, brummt Wolf. »Aber ich halte dich nicht für ein naives Mädchen. Mir gegenüber warst du doch auch relativ misstrauisch, obwohl ich keine bösen Absichten hatte.«
»Ich bin dir in einem Randbezirk begegnet.«
»Und ich habe dir rausgeholfen.«
Caleb löst sich von Hailey und geht auf Wolf zu. Kurz vor ihm bleibt er stehen und hebt den Arm.
»Ich danke dir dafür.«
Wolf blinzelt verwirrt, ergreift dann aber die dargebotene Hand.
»Gern geschehen.«
Caleb nickt. Erst jetzt fällt Hailey auf, wie abgemagert und zerschunden er aussieht. Sein Haar ist stumpf und seine Lippe etwas geschwollen. Er hat seine aufrechte Haltung eingebüßt und zieht einen Fuß etwas nach. Seine Kleidung wirkt hingegen frisch, als wären sie ihm gerade erst angezogen worden. Schwankend lässt er sich auf den Sessel fallen, auf dem Hailey noch vor wenigen Minuten saß.
»Was haben sie mit dir gemacht?«, flüstert Hailey erstickt. Caleb zuckt mit den Schultern und verzieht dabei das Gesicht.
»Ich weiß es nicht. Ich war ohnmächtig seit Jules mir den Peilsender entfernt hat.«
Plötzlich richtet er sich trotz seiner Schmerzen kerzengerade auf.
»Wo ist Jules? Geht es ihm gut?«
Wolf schnaubt.
»Laut Jonathan geht es ihnen gut. Aber da er sie und uns hier gefangenhält, können wir das nicht mit Sicherheit sagen.«
Haileys Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Sie möchte nicht glauben, dass Wolf Recht hat. Sie will, dass der Präsident wirklich der ist, der er vorgibt zu sein. Alles andere wäre zu grausam, würde ihren Tod bedeuten.
»Wenn er gegen uns wäre, hätte er uns schon umgebracht«, wiederholt Hailey bestimmt und verschränkt die Arme. Sie hofft, dass dieser Satz der Wahrheit entspricht. Tief in ihrem Inneren regt sich leichtes Misstrauen, welches sie sofort im Keim erstickt.
»Wolf hat Recht. Er ist der Präsident und du möchtest ihm einfach so vertrauen? Mir ist klar, dass du Angst vor der Wahrheit hast, weil sie nicht so sein könnte, wie du möchtest, aber ...«
»Genug!«, brüllt Hailey. Sie spürt, wie das gehässige Flüstern in ihrer Brust immer lauter wird. »Genug«, wiederholt sie leise. »Jonathan Keisar ist nicht böse. Er hat mir geglaubt, er wird alles aufklären. Ihm fehlen nur noch einige Tests, solange sollen wir hier warten. Das ergibt doch durchaus Sinn, oder nicht?«
Die beiden jungen Männer schweigen betreten und weichen Haileys Blick aus. Ihnen ist klar, dass Hailey sich in etwas reinsteigert, weil sie zu große Angst vor der Wahrheit hat.
»Hailey«, beginnt Caleb, »vor eurer Tür stehen zwei Wächter.«
»Natürlich. Er muss doch erst die Tests machen. Bis dahin sind wir Traumlose und gefährlich. Er wird das Gegenteil beweisen und wir sind frei. Wir können endlich ein freies Leben führen ohne uns verstecken zu müssen. Macy muss sich nicht mehr vor Albträumen fürchten. All das wird schon bald der Vergangenheit angehören. Wir haben es fast geschafft.«
Ihr Körper fängt an zu beben. Sie ist sich bewusst, wie lächerlich und kraftlos sich ihre Stimme anhört. Etwas in ihr registriert, dass sie dem Wahnsinn nachgibt, aber sie kann nicht anders. Sie will nicht glauben, dass sie bald sterben soll. Dass alles umsonst war.
»Du hast wirklich viel von deinem Vater.«
Hat sie sich diesen Satz nur eingebildet oder stammt er wirklich von Jonathan Keisar? An welchen Teil des Gesprächs kann sie sich überhaupt noch erinnern? Sie fühlt sich, als habe er ihre Gedanken durcheinandergewirbelt. Seine berechnende, ruhige Art. Sie erinnert sich daran, dass er ständig aus dem Zusammenhang gerissene Fragen gestellt hat. Oder war das nur Einbildung?
Stöhnend hält sie sich den Kopf. Sie hat das Gefühl, als wäre sie mitten in der Nacht geweckt worden. Völlig orientierungslos starrt sie Caleb an.
»Wir sind in der Festung, oder?«
Caleb wirft Wolf einen besorgten Blick zu, dann nickt er.
»Hailey, du solltest dich lieber setzen. Ich glaube, du hast einen Nervenzusammenbruch.«
Seine Stimme kommt nur dumpf bei ihr an. Sie hört ein Rauschen, spürt wie ihre Welt zittert. Um sie herum wird langsam alles dunkel.
»Das ist doch schwachsinnig«, murmelt sie, dann wird plötzlich alles schwarz. Wolf fängt sie, bevor sie schmerzhaft auf den Boden aufschlägt.
»Vielleicht hätten wir ihr die Illusion lassen sollen«, sagt Caleb erschüttert.
»Nein«, erwidert Wolf energisch. »Sie wird
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