Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
blickt hinaus. Ihre Hände umklammern die kalten Eisengitter.
Ihr Zimmer scheint an der Außenseite der Klinik zu liegen, denn vor ihr erstreckt sich ein düsterer Wald.
Die Wolken jagen so tief und schnell über die Baumgipfel hinweg, als hätten sie das Fliegen verlernt. Kein Sonnenstrahl dringt auf den Boden.
Der Anblick der Regenboten deprimiert Hailey nur noch mehr und so lässt sie vom Fenster ab und setzt sich wieder auf ihr Bett.
»Selbst der Himmel weint mit mir« , flüstert sie in Gedanken und erinnert sich an das warme Frühlingswetter des gestrigen Tages. An das grüne Laub des Baumes über ihrer Lieblingsbank und die warmen Sonnenstrahlen auf Macys blonden Locken.
Energisch schüttelt sie den Kopf. Wenn sie nicht den Verstand verlieren möchte, muss sie sich auf etwas anderes konzentrieren, das weiß Hailey genau.
Den Raum nach einer Fluchtmöglichkeit abzusuchen, ist für sie keine Alternative, sondern lediglich ein anderer Weg zum Wahnsinn und so verwirft sie diesen ersten Impuls sofort wieder.
Duschen.
Warmes Wasser mit dem sie die Gedanken an die Vergangenheit wegspülen kann scheint eine Möglichkeit zu sein, die man in Betracht ziehen sollte.
Als ihr Blick durch das Bad irrt und kein Handtuch findet, verwirft sie auch diesen Plan wieder und tigert unruhig hin und her.
»Mittagessen!«, ertönt eine Stimme und Hailey zuckt überrascht zusammen. Sie sieht sich suchend um, doch sie kann keinen Lautsprecher entdecken, aus der die Stimme hätte kommen können.
Noch bevor ihr die kleinen Löcher knapp unterhalb der Decke auffallen können, öffnet sich die Tür und sie späht zaghaft hinaus. Aus den anderen Zellen drängen die Gefangenen. Einige begrüßen sich lachend, andere laufen mit hängenden Schultern und leerem Blick auf eine geöffnete Gittertür zu. Hailey fügt sich in den Strom aus Menschen wortlos ein und hält den Kopf gesenkt. Der monotone Gleichschritt der Insassen wirkt beruhigend auf sie und so fährt sie erschrocken herum, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürt.
»Du bist neu hier, nicht wahr?«
Entgeistert starrt Hailey den hochgewachsenen Jungen an, der vor ihr steht. Seine dunkelblonden Haare wirken im Licht der Neonröhren Gelb. Am meisten irritieren Hailey seine Augen. Das rechte ist von einem intensiven Grün, während die linke Iris nur zur Hälfte in diesem Ton leuchtet. Der untere Teil hingegen ist braun und erinnert Hailey an warme Sommererde.
Als sie seinen fragenden Blick bemerkt, erinnert sie sich an seine Frage.
»Ja«, antwortet sie kurz angebunden. Auf einmal wird ihr klar, dass sie nicht vorhat, in dieser Anstalt Freundschaften zu schließen.
»Hör zu. Wir wissen beide, dass wir hier hingerichtet werden. Eine Freundschaft wäre also zwecklos und nur schmerzhaft«, erläutert sie dem fremden Jungen und wundert sich über ihren eigenen nüchternen Tonfall.
Statt der erwarteten verblüfften Reaktion lacht der Junge laut los und klopft Hailey herzhaft auf die Schulter.
»Weißt du: Das Schöne an diesem Knast hier ist, dass wir niemandem mehr etwas vorspielen müssen. Du musst nicht mehr die Starke sein.«
Er hakt sich bei Hailey unter, zieht sie den Gang entlang und pfeift dabei eine fröhliche Melodie. Hailey ist zu überrumpelt, um sich zu befreien und so gehen sie gemeinsam in Richtung Speisesaal. Erst als sie sich durch die schmale Türöffnung gedrängt haben, reißt Hailey sich los und erntet dafür ein herzhaftes Lachen.
»Komm mit, ich zeig dir, wie es hier läuft.«
Obwohl sie sehr überrascht ist, dass ihr neuer Bekannter ihr nicht gekränkt den Rücken zuwendet, folgt sie ihm wortlos.
»Hier stellst du dich an. Dann bekommst du absolut leckeres Essen.«
Zur Bestätigung seiner Worte reibt er sich mit einer Hand über den Bauch und leckt sich die Lippen. Bei jedem anderen hätte diese Geste wohl lächerlich gewirkt, doch er schafft es, ihr einen gewissen Charme zu verleihen. Fasziniert atmet sie seinen angenehmen Geruch ein. Sofort fängt ihr Herz an, schneller zu schlagen.
»Mein Name ist übrigens Caleb. Und deiner?«
Hailey schüttelt verwirrt den Kopf. Die Sprunghaftigkeit ihres Gegenübers werfen sie aus der Bahn und fügen ihrer instabilen Fassade Risse zu.
»Hailey«, flüstert sie und starrt erneut seine merkwürdige Iris an. Die Farben gehen nicht fließend ineinander über, sondern sind durch eine unsichtbare Linie klar voneinander getrennt.
»Schön dich kennen zu lernen, Hailey. Nimm dir jetzt hier ein
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