Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Tablett.«
Demonstrativ schnappt er sich eins der grauen Tablette, die fein säuberlich aufgestapelt sind und knallt es auf die Metallleiste, die an der Wand befestigt ist. Während die Reihe der Hungrigen sich langsam nach vorne bewegt, pfeift Caleb erneut sein Lied vor sich hin und zwinkert Hailey hin und wieder verschmitzt zu.
Diese sieht sich peinlich berührt um und streicht sich immer wieder eine widerspenstige Strähne hinters Ohr, doch niemand scheint von Calebs merkwürdigem Verhalten Notiz zu nehmen. Im Gegenteil:
Vorbeilaufende Menschen klopfen ihm freundlich auf die Schulter oder lächeln ihn an. Er antwortet jedes Mal mit einem Kopfnicken und pfeift weiter unbeirrt vor sich hin.
Nach einer Weile beginnt Hailey sich zu entspannen. Scheinbar gelten in dieser Klinik andere Regeln. In ihrer Schule wäre Caleb schon zum Gespött aller Leute geworden.
»Wie machst du das?«, zischt sie ihm zu und seine lockere Melodie verstummt sofort.
»Was meinst du?«
»Wieso mögen dich hier alle?«
Gekränkt zieht er eine Augenbraue nach oben und presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
»Vielleicht liegt es daran, dass ich keine unverschämten Fragen stelle?«
»Sehr witzig.«
Wütend will Hailey die Warteschlange verlassen und dafür sogar auf ihr Essen verzichten, doch Caleb greift blitzschnell nach ihrem Arm.
»Bleib da, Hailey. Du willst doch sicher wissen, warum du hier bist.«
Haileys Herz macht einen freudigen Sprung, doch seine Besitzer mahnt es zur Ruhe.
»Wie meinst du das?«, fragt sie misstrauisch.
»Lass uns etwas zu essen holen, dann können wir reden.«
Er lächelt sie amüsiert an. In seinen Augen spiegelt sich Siegessicherheit und Hailey muss sich eingestehen, dass sie damit Recht haben.
»Na schön«, brummt sie und reiht sich erneut ein.
»Einfach drunter halten.«
Caleb hält sein Tablett unter einen weißen Schlauch und hält kurz darauf ein Tablett gefüllt mit braunem Schleim in der Hand.
»Sieht nicht lecker aus, aber ... ach, was erzähle ich. Es ist auch nicht lecker.«
Über seinen eigenen Witz kichernd, beobachtet er, wie Hailey angewidert die Nase rümpft, als sich die Brühe über ihr Tablett ergießt.
»Hier bitte«, flötet Caleb und drückt ihr einen matten Löffel in die Hand.
»Ich hoffe nur, sie haben das Teil wenigstens vorher gereinigt«, murrt sie und folgt Caleb zu einem Tisch, in dessen Nähe noch niemand anderes sitzt. Sie lassen sich gegenüber auf den harten Holzbänken nieder. Caleb beginnt sofort damit, das Essen in sich hineinzuschaufeln, während Hailey mit ihrem Löffel in der undefinierbaren Pampe rührt.
»Was ist das?«
»Genug, damit du nicht stirbst, aber zu wenig, um stark zu werden«, würgt Caleb mit vollem Mund hervor, wobei ihm einige Tropfen aus dem Mundwinkel laufen. Komischerweise findet Haily es nicht abstoßend, sondern faszinierend, wie selbstsicher er sich verhält.
»Aha, ich verzichte.«
»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, die Wäch –«
»Na sieh mal einer an. Caleb, hast du eine neue Freundin gefunden?«
Haileys Nackenhaare stellen sich auf und sie wagt es nicht, sich umzudrehen. Kaltes Metall legt sich an ihre Halsschlagader.
»Dann sag deiner Freundin, dass sie lieber essen sollte, wenn sie nicht ...«
Drohend reibt das Metall an ihrem Hals und verschwindet dann. Noch immer traut Hailey sich nicht, über ihre Schulter zu blicken. Ihr gekrächztes Verstanden wird mit einem freudlosen Lachen quittiert.
»Schön.«
Hailey blickt Caleb fragend an, bis dieser nickt.
»Er ist weg. Jetzt iss lieber.«
Dieses Mal widerspricht Hailey nicht, sondern schiebt sich einen Löffel brauner Brühe in den Mund. Überraschenderweise schmeckt es nicht widerlich, aber auch nicht gut.
»Kann man essen«, teilt sie Caleb schließlich ihr Urteil mit und dieser lacht.
»Wieso duzen mich die Wächter eigentlich plötzlich?«
»Weil du jetzt nicht mehr entkommen und böse über sie reden kannst.«
Seine nüchterne und realistische Erklärung dreht Hailey den Magen um. Ihr wird übel, aber ihre Angst vor dem Metallstab zwingt sie zum Weiteressen.
»Die Leute werden also wirklich zum Sterben hierher gebracht?«
»Die Schwerverbrecher werden also wirklich von der Gesellschaft ferngehalten?«, korrigiert er sie in einem ironischen Tonfall und rollt dabei mit den Augen.
»So sieht die Regierung und der Rest der Welt das. Sobald man hier sitzt, hat man aber einen anderen Blickwinkel.«
Als wäre seine Hinrichtung
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