Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Moment kommen und ... uns holen?«
»Dich oder mich«, korrigiert er sie. »Sie holen uns immer nur einzeln. Aber ja. Bis jetzt hat niemand herausgefunden, nach welchem Prinzip die Auswahl erfolgt. Manchmal bleibt wochenlang alles beim Alten und dann verschwinden auf einmal zwei Personen am gleichen Tag. Für uns ist es ein großes Glücksspiel.«
»Glücksspiel?«
Hailey erinnert sich an die bunten Lichtpunkte der Spielhalle, an der Macy und sie manchmal vorbeigelaufen sind, wenn sie den langen Weg zur Schule nahmen um mehr Zeit für sich zu haben. Die heruntergekommenen Hausfassaden des Spielerviertels wirkten auf niemanden einladend und Macys Eltern hatten ihr streng verboten, diesen Weg zu nehmen. Doch die Liebe zu ihrer Freundin wog stärker als die Angst vor Konsequenzen. Hailey benötigte keine Warnung ihrer Mutter, denn sie hasste das Spielerviertel. Erinnerungen klebten an ihm wie Kaugummireste auf der Straße. Verbraucht, in Vergessenheit geraten und doch für jeden sichtbar, der auf sie achtet. Aber auch sie wollte lieber mehr Zeit mit Macy verbringen als dieses Viertel zu meiden.
Neben den tanzenden Lichtern sind ihr auch die Besucher dieser Hallen im Gedächtnis geblieben:
Ausgezehrte Gestalten, die scheinbar jede Nacht mehrere Albträume durchleiten mussten. Die Erinnerung an ihre stumpfen Augen jagen Hailey noch heute einen Schauer über den Rücken.
Andere Passanten bezeichneten die Süchtigen als Abfall der Gesellschaft und genau das waren sie, auch wenn Hailey diesen Begriff anders definierte: Diese leblosen Hüllen verdankten ihr trostloses Dasein der Gesellschaft, welche sie in diesen Abgrund gestürzt hatte.
Plötzlich scheint ihr die Klinik eine gute Alternative zu einem farblosen Leben in der bunten Spielhalle. Solange die Spieler kein Verbrechen vergehen, duldet die Regierung sie als lebendes Mahnmal für alle, die mit dem Gedanken spielen, sich ihr zu widersetzen.
»Nichts ist so schlimm wie ein Glücksspiel«, murmelt sie.
»Wenn du meinst«, entgegnet Caleb schlicht. »Bis später.«
»Warte ...«, setzt sie an. In diesem Moment schiebt sich ein Wächter zwischen sie und deutet energisch in Richtung der Zimmer.
Widerstandslos lässt Hailey sich einschließen. Die Angst, dass sie Caleb nicht wiedersehen wird, sitzt ihr wie ein böses Monster im Nacken und murmelt ihr die schlimmsten Szenarien vor, die sich ihr Verstand ausmalen kann.
»Ich sagte gestern, dass ich jemanden kenne ... Nicht, dass er mir wohlgesonnen ist.«
Jules rauft sich die Haare und blickt Macy flehend an.
»Es tut mir leid, okay?«
»Okay?! Nichts ist okay !«
Unruhig läuft Macy in dem verlassenen Hinterhof auf und ab. Der Himmel ist wolkenverhangen und ein eisiger Wind fährt durch ihre blonden Locken. Genervt streicht sie sich eine Strähne hinters Ohr und funkelt Jules aufgebracht an.
»Ihr Männer seid alle gleich. Erst macht ihr uns Versprechen und dann ..., dann enttäuscht ihr uns!« Sie kann kaum sprechen, so wütend ist sie. »Sie ist meine beste Freundin, verdammt!«
»Ich weiß, Macy ... aber ...«
Beruhigend möchte er sie in seine Arme ziehen. Dieses Mädchen, das er so lange angehimmelt hat. Das Mädchen, welches er nie ansprechen konnte, weil er Angst hatte, dass die anderen Jungs dann schlecht über ihn reden würden. Erst seine Probearbeit beim Arzt gab ihm das nötige Selbstvertrauen, um über dem Gerede zu stehen.
»Aber? Es gibt kein Aber !«, unterbricht ihn Macy. Endlich bleibt sie stehen und schaut ihn an. Er liebt dieses Funkeln in ihren blauen Augen. »Wir müssen sie retten!«
»Und wie?«
Aus seiner Sicht hatte er alles versucht, was möglich war: Kontakte angesprochen, gefleht, mit Geld gewedelt. Doch die Regierung weiß, wie sie ihre Wächter auswählt. Keiner von Jules Bekannten ließ sich auf dieses Risiko ein.
Durch seine Frage sichtlich aus dem Konzept gebracht, bleibt Macy stehen und reißt hilflos die Arme in die Luft. Sie trägt eine einfache Jeans und eine braune Lederjacke, an der der Wind unaufhörlich zerrt.
»Ich weiß es doch auch nicht ...«
Schweigend stehen sie eine Weile da. Nur sie beide, eingekreist von verlassenen Häusern, deren Todesurteil schon gesprochen ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Abrissbirnen ankommen und alles dem Erdboden gleich machen, damit hochwertige Glaskonstruktionen die Betonbunker ersetzen.
Jules würde es niemals öffentlich zugeben, aber er liebt deren alte Bauweise. Das ganze Glas und Metall machen ihn krank. Sie
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