Traummoerder
nicht richtig. Zudem wusste sie nicht genau, ob sie Dermot wirklich auf dem Boden liegend im Nachbaraufzug gesehen hatte. Wieso sollte er hier sein?
Sie hielt einen vorbeigehenden Mann auf. »Bitte, kann ich Ihr Handy benützen? Es ist ein Notfall! Ich wurde überfallen. Bitte!«
Der junge Mann tat so, als hätte er nichts gehört und ging weiter – offensichtlich dachte er, dass Neela ihm nur Schwierigkeiten bereiten würde.
An der Ecke zur West Fourth Street stolperte Neela auf die Kreuzung und ruderte wild mit den Armen. Autos blieben stehen, und schon bald hatte sich eine Menschenmenge angesammelt, allerdings hielten alle einen gewissen Abstand.
Sie schrie: »Lieber Himmel, kann jemand die Polizei anrufen? Ich wurde überfallen!«
Einige kamen ihrer Bitte nach; innerhalb von fünf Minuten erschien ein Streifenwagen, und zwei uniformierte Cops liefen auf sie zu.
Als sie ihr unzählige Fragen gestellt, in der Dienststelle angerufen, Verstärkung angefordert und einige Detectives ins Sibley Building geschickt hatten, waren die fünf Kerle längst über alle Berge. Doch Neelas Leid hatte gerade erst begonnen.
Dermot kam nie am Flughafen an. Er wurde dort nicht gesehen und hatte auch nie eingecheckt. Demzufolge traf er nie im Dschungel von Papua-Neuguinea ein, um seine Karriere wieder anzufachen. Er war nirgendwo aufzufinden. Der Taxifahrer hatte einige Zeit vor dem Gebäude gewartet, und als Dermot nicht zurückkam, die Cops angerufen.
Das spurlose Verschwinden von Dermot Nolan wurde zum Gesprächsthema auf der ganzen Welt. Als wäre sein Prozess nicht schon aufsehenerregend genug gewesen, jetzt war der berühmte Autor auch wie vom Erdboden verschluckt.
Jede Woche wurde Dermot irgendwo anders gesehen – in einer Safarilodge in Afrika, auf einem Basar in Tunis, in einem Bordell in der Bronx, an einem Checkpoint im Iran; jemand war sogar überzeugt, ihn bei einem Kampf gegen die Taliban in Afghanistan entdeckt zu haben.
Es war ein Wunder, dass Neela keine zweite Fehlgeburt erlitt. Nick zog ins Gästezimmer der Nolans, um sich besser um Neela kümmern zu können; er beruhigte sie und versicherte, dass Dermot eines Tages wieder auftauchen würde. War er nicht schon einmal einfach so verschwunden?
Aber die Wochen vergingen, und von Dermot gab es kein Lebenszeichen. Neela versank in Verzweiflung. Ihrer ungeborenen Tochter zuliebe musste sie jedoch auf ihre Gesundheit achten, also redete sie sich ein, dass Dermot irgendwann zurückkommen würde.
Er kam aber nicht.
Monate später platzte bei Neela vorzeitig die Fruchtblase. Nick fuhr sie ins Cedars-Sinai, und dort erblickte die kleine Virginia das Licht der Welt.
Vier Tage nach der Entbindung schlug Nick vor, Neela solle für ein paar Wochen zu ihrer Mutter fahren; er werde in der Zwischenzeit im Haus am Linley Place die Stellung halten.
Am folgenden Tag brach Neela auf, und Nick machte es sich zur Aufgabe, den kleinen Garten am Linley Place neu zu gestalten.
Kapitel 69
Nick hielt Dermot weitere zwei Wochen im Inglewood-Lagerhaus an Händen und Füßen gefesselt gefangen, während er einen Designer-Garten für Neela kreierte. Jeden Tag, nachdem er seinem Gefangenen Essen und Wasser gebracht hatte, ließ Nick ihn allein und arbeitete im Garten. In zwei Tagen hatte er die alte Scheune niedergerissen und eine neue gebaut. Dann begann er, in diesem Schuppen, abgeschirmt vor neugierigen Blicken, zu graben.
Nick brauchte vier Tage, um zwei Meter tief zu kommen, dann kletterte er aus der Grube und bereitete den Sarg vor.
Er dachte an alles: an das Belüftungssystem mit dem kleinen, fast geräuschlosen elektrischen Ventilator und an die Nahrungszufuhr. Da er seinen Gefangenen nicht täglich mit der Hand füttern wollte, kam ihm die Idee mit dem Kompostsystem. Auf diese Weise versorgte Neela ihren Mann täglich mit Lebensmitteln, ohne etwas davon zu ahnen. Die Beförderung funktionierte ganz automatisch. Sobald das verrottende organische Material auf der Basisebene ein gewisses Gewicht erreichte, fiel die Nahrung durch. Dermot bekam also die zwei Tage alten Brocken direkt ins Gesicht. Er konnte selbst entscheiden, was er essen wollte und was nicht. Nick hatte ausführliche Nachforschungen über die Methoden betrieben, mit denen sich Menschen in Ausnahmesituationen am Leben erhielten. Die meisten tranken ihren eigenen Urin, wenn sie unter Wassermangel litten, und zogen sogar in Erwägung, einen Menschen zu töten, um ihren Hunger zu stillen. Nick war der
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