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Traummoerder

Titel: Traummoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane Briant
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einen wahren Verlust erlitten hat.«
    Dermot atmete tief durch. Dieser Unsinn war kaum zu verkraften. Aber er hatte es Neela versprochen, also hielt er durch.
    Als der Zug im MacArthur Park hielt, stand kaum jemand auf dem Bahnsteig, um einzusteigen. Die Türen glitten auf, doch Dermot achtete nicht darauf, stattdessen las er: »Leid. Meine Parole. Ich muss anderen zeigen, was echtes Leid ist. Sie zusehen lassen, wie sich Unschuldige quälen.«
    Kurz bevor die Türen zugingen, schlüpfte ein Mann ins Abteil und setzte sich neben Dermot, obwohl mindestens sechzig andere Plätze frei waren.
    Dermot versuchte, den Störenfried zu ignorieren, und las weiter, obwohl ihm der Kerl mächtig auf die Nerven ging und starken Körpergeruch verströmte.
    »Ich musste mit ansehen, wie meine Lieben starben. Und jetzt möchte ich anderen helfen, den Moment des eigenen Todes schätzen zu lernen.«
    »Gutes Buch, wie?«, fragte der Stadtstreicher und grinste wie ein Idiot. »Hinten sind Bilder.«
    Dermot schaute auf. Die Sprechweise überraschte ihn. Der Typ sah aus, als wäre er über sechzig, trotzdem redete er wie ein Kind, wenn auch mit tiefer Stimme. Von welchen Bildern redete er? Dermot hatte keine in dem Manuskript gesehen.
    Der Zug bremste ab, als er sich der Station 7th Street näherte.
    »Haben Sie mir diese Seiten gebracht?«, wollte Dermot wissen und hielt das Manuskript in die Höhe.
    Der alte Mann griente unbeirrt und zeigte die vom Nikotin gefleckten Zähne. Dann kicherte er wie ein Achtjähriger. »Ich schätze schon, Mr. Nolan.«
    Der Zug hielt, die Türen öffneten sich. Dermot und der komische Kauz starrten sich unverwandt an.
    »Haben Sie das geschrieben?«
    Keine Antwort.
    »Ist Ihr Name Arnold?«
    Wieder ein Grinsen und ein leises Lachen. Dermot wollte noch mehr Fragen stellen. Doch als sich die Türen schlössen, sprang der Kerl auf und zwängte sich in der letzten Sekunde ins Freie.
    »Fang mich doch!«, rief er vergnügt wie ein Junge auf dem Schulhof. Dermot machte einen Satz, aber die Tür war bereits geschlossen. Der alte Mann presste das schmutzige Gesicht an die Fensterscheibe. Die Augen traten hervor, die Zunge leckte am Glas – Zähne und Zahnfleisch waren entblößt.
    Wieder rollte der Zug an. Dermot beobachtete, wie der Penner immer kleiner wurde, bis der Zug in den Tunnel raste. Der Alte winkte.
     
    »Und dann?«, fragte Neela, als sie zwei Gläser Shaw and Smith Sauvignon blanc einschenkte.
    »Dann? Nichts. Ich bin am Pershing ausgestiegen und zurück zur Seventh gelaufen, aber von ihm war keine Spur zu sehen. Fast eine Stunde bin ich umhergelaufen.« Dermot trank einen Schluck Wein und setzte sich. »Es war …« Erfand nicht den richtigen Begriff. »Ich wäre beinahe ausgeflippt. Das unheimliche Sado-Zeug zu lesen, wenn der Spinner direkt neben mir sitzt und mich wie ein Tölpel anstarrt … Er hätte unter hundert freien Plätzen wählen können, und er rückt mir derart auf den Pelz! Und plötzlich springt er auf wie ein Kaninchen und macht sich aus dem Staub.«
    Neela suchte nach den passenden Worten. »In LA gibt es bestimmt zehntausend Obdachlose, Liebling. Und weißt du, wie viele davon am Pershing Square herumhängen? Hunderte. Wie hoch stehen deiner Meinung nach die Chancen, dass er derselbe Kerl war, der dir das Manuskript gebracht hat? Komm schon – du hast ihn nur einmal gesehen, kurz bevor er fortgelaufen ist. Könntest du dich nicht geirrt haben?«
    Für einen Moment erwog Dermot, seinen Polizei-Kumpel Mike Kandinski anzurufen und zu fragen, was er von alldem hielt. Doch dann verwarf er den Gedanken – es war besser, die Sache vorerst unter Verschluss zu halten.
    »Warum setzt er sich dann direkt neben mich – in einem leeren Abteil? Er hat mich angeglotzt wie ein zurückgebliebener Trottel. Woher kannte er meinen Namen, wenn es nicht derselbe Typ war?«
    »Du bist prominent, Dermot! Finde dich damit ab.« Sie dachte nach. »Okay. Vielleicht war er nur bekloppt.«
    »Danke.« Damit quittierte Dermot ihren kleinen Scherz.
    »Du hast gesagt, er hat geredet wie ein Schwachkopf – ein Kind. Wie konnte er, wenn er zurückgeblieben ist, einen Roman verfassen?«
    »Das ist mir auch ein Rätsel«, räumte Dermot ein. »Aber so muss es sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Stadtstreicher einen Booker-Prize-Gewinner vom Sehen kennt.«
    Neela lächelte, und Dermot tat es ihr gleich. »Wahrscheinlich messe ich der Sache zu viel Bedeutung bei und bin selbst ein Dummkopf.« Er

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