Traummoerder
musste. Die meisten wollten wissen, ob sich Dermot von aktuellen Ereignissen hatte inspirieren lassen, und er antwortete jedes Mal: » Ich bin überzeugt, dass ich im Laufe von Jahren einiges über ziemlich grausame Morde gelesen habe, und bestimmt sind mir einige Details im Unterbewusstsein haften geblieben. Ich könnte also, ohne es selbst bemerkt zu haben, einige Aspekte dieser wahren Begebenheiten in meinem Roman verwendet haben – ohne jede Absicht.« Oft wurde er gefragt, warum sein Roman in Australien und nicht in Amerika spielte, und er reagierte gewöhnlich mit einem Scherz: »Weil die Australier, was die Gewaltverbrechen in den Großstädten angeht, rasch zu uns aufschließen.«
Die Reisen nach Europa waren am angenehmsten, weil Dermot dann weit weg von den Toten war, die ihn in seinen Träumen heimsuchten. Im Ausland wurden er und Neela fürstlich bewirtet, der Champagner floss in Strömen, die Hotelsuiten waren luxuriös und die Limousinen besonders lang – zumindest kam es Neela so vor. Und am Ende eines jeden Tages arbeiteten sie fleißig an der Produktion eines Babys und genossen jede Sekunde. Bei der Rückkehr nach L.A. fühlte sich Dermot erholt und frisch. Er spähte nicht mehr ständig über seine Schulter, hielt nicht mehr nach Autos Ausschau, die aussahen wie sein eigenes, und suchte nicht mehr in allen Zeitungen nach Berichten über Leichenfunde.
Die Rollen des Films wurden besetzt, und die Liste jener, die Interesse an den kleinen Rollen bekundet hatten, war beeindruckend – nur erstklassige Schauspieler.
Sie waren seit ungefähr zwei Wochen zu Hause, als Dermots Leben eine Wende nahm. Er war zu einem literarischen Lunch im Hilton Hotel eingeladen, und Dermot, Neela, Nick und Esther saßen an einem Tisch. Als der Kellner Dermots Glas neu auffüllte, ging sein gefeierter Malerfreund Neil Taylor zum Rednerpult und hielt eine amüsante Ansprache.
Als Taylor zum Ende kam, applaudierten die mehr als vierhundert Gäste, und Dermot erhob sich.
Er hielt dieselbe Rede wie während der Wochen in Europa; die Reaktionen seiner Zuhörer waren ihm daher vertraut. Natürlich lachten sie nicht allzu oft, aber alle wussten zu schätzen, dass er sein Buch nicht mit zu düsteren Worten vorstellte. Die Rede war bisher immer glatt verlaufen.
An diesem Tag jedoch war alles anders.
Als Dermot fertig war und der Applaus verstummte, stand Louise Fortall, eine junge hübsche Lektorin von Gunning and Froggett, auf. »Und jetzt lassen Sie uns gleich mit der Diskussion beginnen. Bitte heben Sie die Hand, wenn Sie eine Frage haben«, sagte sie.
Jede Menge Hände gingen in die Höhe, und Fortall wählte irgendeinen Zuhörer aus.
»Hat Sie Truman Capotes Kaltblütig zu diesem Werk inspiriert?«
Nolan lächelte. Sein Gehirn schaltete auf Autopilot, während er antwortete: »Ja, Capotes Roman war mir wirklich unheimlich. Natürlich war ich praktisch noch ein Kind, als ich ihn gelesen habe.«
Gelächter.
»Aber er ähnelt Worst Nightmares in keiner Weise. Ich halte mir zugute, dass ich das Genre auf eine andere Ebene gehoben habe. Nicht notwendigerweise auf eine bessere, aber doch auf eine andere … vielleicht auf eine höhere.«
Wieder brach Gelächter aus.
»Dann halten Sie Ihren Roman also für furchteinflößender?«
»Nun, in den letzten Jahrzehnten hat sich vieles verändert. Das Leben an sich ist furchteinflößender geworden. Dabei spielt es keine Rolle, wer oder wo man ist. Jeder kann jede Sekunde – am Tag oder in der Nacht – durch die Hand eines Terroristen, eines sogenannten Freiheitskämpfers oder religiösen Fundamentalisten ums Leben kommen. Von Serienmördern möchte ich gar nicht erst reden.« Er zwinkerte und erntete wieder ein Lachen.
Louise Fortall deutete auf jemanden. »Bitte – der Gentleman auf der rechten Seite. Haben Sie eine Frage?«
»Guten Tag, Mr. Nolan. Mich hat Ihr Buch sehr amüsiert – auch wenn das vermutlich nicht die politisch korrekte Beschreibung der Gefühle sein mag, die ich während des Lesens empfunden habe.«
Wieder lachten einige.
»Das hoffe ich auch nicht«, gab Dermot mit einem Lächeln zurück.
Lauteres Gelächter.
»Meine Frage ist folgende: Fiel es Ihnen schwer, den Stil, den wir bisher an Dermot Nolan geliebt haben – die sanfte, romantische, intellektuelle Ausdrucksweise –, an einen brutalen nihilistischen Rohling anzupassen?«
»Nun, ich habe es getan. Ich bin ein Schriftsteller, und es gehört sozusagen zu meinem Handwerk, mich in andere
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