Traumpfade
Überlegenheit voraus. Die »Diktatoren« im Tierreich sind die, die in einer Atmosphäre des Überflusses leben. Die Anarchisten sind wie immer die »Gentlemen der Straße«.
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Was können wir tun? Wir wurden mit der großen Unrast geboren. Unser Vater hat uns gelehrt, daß das Leben eine lange Reise ist, bei der nur die Untüchtigen zurückgelassen werden.
Ein Karibu-Eskimo im Gespräch mit Dr. Knud Rasmussen
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Das Obenstehende erinnert mich an die beiden eindeutig dem Homo habilis zuzuordnenden Fossilien, an die Hominiden, die in die Höhle von Swartkrans verschleppt und dort verzehrt wurden: das eine der Junge mit einem Gehirntumor, das andere eine alte, arthritische Frau.
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Unter den Abhandlungen, die mir Elizabeth Vrba empfahl, war eine mit dem Titel »Wettbewerb oder friedliche Koexistenz?« von John Wiens.
Wiens, ein Ornithologe, der in New Mexico arbeitet, hat das Verhalten von Zugvögeln studiert – den dirkcissel, den Steppensperling und die Spottdrossel –, die jeden Sommer zum Nisten in die dürre Buschlandschaft der Western Plains zurückkehren.
Hier, wo auf jahrelange Hungersnot plötzlich eine Zeit des Überflusses folgen kann, gibt es bei den Vögeln kei ne Anzeichen dafür, daß sie auf das zunehmende Nahrungs angebot mit Vermehrung ihrer Zahl reagieren oder den Wettstreit mit ihren Nachbarn verschärfen. Er kommt zu dem Schluß, daß Zugvögel einen inneren Mechanis mus haben müssen, der Kooperation und Koexistenz begün stigt.
Er behauptet weiter, daß der große Darwinsche »Kampf ums Dasein« paradoxerweise eher in Gegenden mit einem stabilen als mit unbeständigem Klima stattfindet. In Regionen, in denen der Überfluß gesichert ist, stecken die Tiere ihr Land ab und verteidigen es mit eindeutiger Aggressivität. In kargen Landschaften, wo die Natur selten freundlich ist – wenn auch meistens Raum zum Weiterziehen vorhanden ist –, machen sie sich ihre mageren Ressourcen zunutze und finden ihren Weg, ohne zu kämpfen.
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In Aranda Traditions stellt Strehlow zwei Völker Zentralaustraliens einander gegenüber, von denen das eine seßhaft, das andere beweglich ist.
Die Aranda, die in einer Landschaft mit gesicherten Wasserstellen und reichlich vorhandenem Wild lebten, waren erzkonservativ: sie hatten unveränderliche Zeremonien, brutale Initiationsriten und bestraften jedes Sakrileg mit dem Tod. Sie betrachteten sich als »reine« Rasse und dachten selten daran, ihr Land zu verlassen.
Das Volk im Western Desert dagegen war so aufgeschlossen, wie die Aranda verschlossen waren. Sie bedienten sich ungeniert der Lieder und Tänze anderer Völker, liebten ihr Land nicht weniger und waren doch ständig unterwegs. »Das Erstaunlichste an diesen Menschen«, schreibt Strehlow, »war, daß sie stets zum Lachen aufgelegt waren. Sie waren ein fröhliches, lachendes Volk und verhielten sich, als hätten sie nie Sorgen gekannt. Die Aranda, auf Schaffarmen mit der Zivilisation bekannt gemacht, pflegten zu sagen: ›Sie lachen immer. Sie können nicht anders.‹«
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Ein Spätsommerabend in Manhattan, die Massen haben die Stadt verlassen, ich radle die untere Park Avenue hinunter, von den Seitenstraßen her fällt das Licht schräg ein, und ein Schwarm von Chrysippus-Schmetterlingen, abwechselnd braun im Schatten und golden in der Sonne, fliegt um das Pan Am Building herum, fliegt von der Mercury-Statue zur Grand Central Station hinunter und weiter Downtown in Richtung Karibik.
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Im Verlauf meiner Lektüre über die Migration von Tieren habe ich einiges über die Wanderungen von Kabeljau, Aal, Hering, Sardine und über den selbstmörderischen Exodus der Lemminge gelernt.
Ich habe das Für und Wider der Existenz eines »sechsten Sinns« – eines magnetischen Orientierungssinns – im zentralen Nervensystem des Menschen erwogen. Ich sah den Zug der Wildebeest in der Serengeti. Ich las von Vögeln, die ihre Reisen von den Eltern »lernen«, und von dem flügge gewordenen Kuckuck, der seine Eltern nie gekannt hat und den Wandertrieb darum in seinen Genen gehabt haben muß.
Voraussetzung für alle Tiermigrationen waren Verschiebungen von Klimazonen, im Falle der Grünen Schildkröte war es die Kontinentalverschiebung.
Es gibt Theorien, denen zufolge Vögel ihre Position nach dem Stand der Sonne, nach den Phasen des Mondes oder dem Auf- und Untergehen von Sternen bestimmen und ihre Flugrichtung korrigieren, wenn sie bei einem Sturm vom Weg abgetrieben werden. Einige Enten und Gänse
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