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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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»Mann!«
    Ich sagte ebenfalls »Mann!« und sah meine rosa Daumenspitze aus seiner Faust herausragen.
    »Mann!« sagte er.
    »Mann!« sagte ich.
    »Mann!« sagte er.
    Ich sagte nichts. Wenn ich ein drittes Mal »Mann!« sagte, dessen war ich mir sicher, würden wir endlos fortfahren, »Mann!« zu sagen.
    Ich sah weg. Der Druck seines Griffs ließ nach, und schließlich bekam ich meine zerquetschte Hand frei.
    Der Vorsitzende erzählte die Geschichte weiter, die er meinetwegen unterbrochen hatte: über seine Gewohnheit, die Vorhängeschlösser von den Eingangstoren der Rinderfarmen wegzuschießen. Seine Zuhörer fanden das sehr lu stig.
    Dann versuchte ich, mit einem städtischen Aktivisten ein Gespräch anzuknüpfen, der aus Sydney zu einem Besuch in den Norden gekommen war. Doch weil er sein Gesicht abwandte, sah ich mich zu der Aborigine-Fahne sprechen, die als Anhänger an seinem linken Ohrläppchen baumelte.
    Zunächst erhielt ich keine andere Reaktion als das sonderbare Schlenkern der Fahne. Dann schwenkte das Gesicht herum und begann zu sprechen: »Sind Sie Engländer?«
    »Ja.«
    »Warum fahren Sie nicht wieder nach Hause?«
    Er sprach langsam und verschluckte die Silben.
    »Ich bin gerade erst angekommen«, sagte ich.
    »Ich meine euch alle.«
    »Alle wen?«
    »Euch Weiße.«
    Die Weißen hätten sein Land gestohlen, sagte er. Ihre Anwesenheit in Australien sei illegal. Sein Volk hätte nie einen Quadratzentimeter Land abgetreten. Sie hätten nie einen Vertrag unterschrieben. Alle Europäer sollten dahin zurückgehen, woher sie gekommen seien.
    »Und was ist mit den Libanesen?« fragte ich.
    »Sie müssen in den Libanon zurückgehen.«
    »Ich verstehe«, sagte ich, aber das Interview war beendet, und das Gesicht schwenkte in seine vorige Position zurück.
    Als nächstes zog ich die Aufmerksamkeit einer attraktiven blonden Frau auf mich und zwinkerte. Sie zwinkerte zurück, und wir schlängelten uns beide um den Rand der Gruppe herum.
    »Hatten Sie es schwer mit dem Chef?« flüsterte sie.
    »Nein«, sagte ich. »Es war lehrreich.«
    Sie hieß Marian. Sie war erst vor einer halben Stunde aus dem Warlpiri Country, wo sie für einen Landclaim von Frauen arbeitete, in der Stadt eingetroffen.
    Sie hatte stille blaue Augen und sah in ihrem enganliegenden geblümten Kleid sehr unschuldig und glücklich aus. Unter ihren Fingernägeln waren Halbmonde aus roter Erde, und der Staub hatte ihrer Haut einen weichen, bronzefarbenen Schimmer verliehen. Ihre Brüste waren fest und ihre Arme kräftig und zylindrisch. Sie hatte die Ärmel ihres Kleids aufgerollt, damit die Luft unter ihren Achselhöhlen frei zirkulieren konnte.
    Sie und Arkady hatten als Lehrer an derselben Schule im Busch gearbeitet. Aus der Art zu schließen, wie sie immer wieder zu seinem blonden Haarschopf hinübersah, der im Scheinwerferlicht schimmerte, mußten sie einmal eine Liebschaft gehabt haben.
    Er trug ein himmelblaues Hemd und ausgebeulte Drillichhosen.
    »Wie lange kennen Sie Ark schon?« fragte sie.
    »Ganze zwei Tage«, sagte ich.
    Ich erwähnte den Namen der Frau in Adelaide, die wir beide kannten. Sie senkte die Lider und errötete.
    »Er ist so etwas wie ein Heiliger«, sagte sie.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ein russischer Heiliger.«
    Ich hätte mit Marian weitersprechen können, wäre da nicht die rauhe Stimme an meinem linken Ellbogen gewesen. »Und was führt Sie ins Territory?«
    Ich blickte mich um und sah einen drahtigen Weißen mit einem spitzen Mund, Mitte Dreißig. Sein angeschwollener Bizeps und das ärmellose graue Sweatshirt verrieten den Fitneßfan.
    »Will mich hier umsehen«, sagte ich.
    »Nach was Besonderem?«
    »Ich möchte etwas über die Songlines der Aborigines erfahren.«
    »Wie lange bleiben Sie?«
    »Vielleicht ein paar Monate.«
    »Gehören Sie zu irgendeinem Verein?«
    »Nur zu meinem eigenen.«
    »Und wieso glauben Sie, Sie könnten einfach hier aufkreuzen aus dem guten alten England und heiliges Wissen einheimsen?«
    »Ich will kein heiliges Wissen einheimsen. Ich möchte verstehen, wie eine Songline funktioniert.«
    »Sind Sie Schriftsteller?«
    »Sozusagen.«
    »Gedruckt?«
    »Ja.«
    »Science-fiction?«
    »Ich hasse Science-fiction.«
    »Glauben Sie mir«, sagte der Fitneßfan, »Sie verschwenden Ihre Zeit, Kumpel. Ich habe zehn Jahre im Territory gelebt. Ich kenne diese Ältesten. Die werden Ihnen nichts erzählen.«
    Sein Glas war leer. Die einzige Möglichkeit, dieses Gespräch zu beenden, war, dem Mann

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