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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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vorn, aber der Mann parierte mit einer schnellen Bewegung seines Handgelenks. Beide bluteten.
    »Olé!« rief der spanische Bäcker, dessen Gesicht zu einer Grimasse verzerrt war. »Olé! Olé! Olé!«
    Der Rausschmeißer sprang über die Theke und zerrte die beiden Aborigines nach draußen auf den Gehsteig, über den Asphalt zu einer Insel in der Mitte der Straße, wo sie, Seite an Seite, blutend unter den rosa blühenden Oleanderbüschen lagen, während die Fernlastzüge aus Darwin vorbeiratterten.
    Ich ging davon, aber der Spanier folgte mir.
    »Sie sind die allerbesten Freunde«, sagte er. »Oder?«

9
    I ch hatte gehofft, früh zu Bett gehen zu können, aber Arkady hatte mich zu einem Barbecue bei ein paar Freunden am anderen Ende der Stadt eingeladen. Wir mußten eine Stunde oder mehr überbrücken. Wir kauften eine Flasche gekühlten Weißwein bei dem Straßenverkauf.
    Arkady wohnte in einer gemieteten Einzimmerwohnung über einer Reihe von abschließbaren Garagen in einem Wohnblock hinter dem Supermarkt. Die Klimaanlage lief, und als er die Tür aufschloß, schlug uns ein kalter Luftzug entgegen. Ein Zettel war unter der Tür hindurch auf die Matte geschoben worden. Er machte Licht und las.
    »Wurde auch Zeit«, murmelte er.
    »Worum geht’s?« fragte ich.
    Er erklärte, daß einer der Kaititj-Ältesten, ein alter Mann namens Alan Nakamurra, in den letzten vier Wochen die Landvermessung aufgehalten habe. Er war der letzte männliche Überlebende seines Klans und »traditioneller Besitzer« des Landes nördlich von der Middle Bore Ranch. Die Eisenbahnvermesser hatten es eilig, speziell diese Teilstrecke abzustecken. Arkady hatte sie vertröstet, bis Alan gefunden werden konnte.
    »Wo war er?«
    »Was glauben Sie?« lachte er. »Er war auf Walkabout.«
    »Was ist mit den anderen geschehen?«
    »Welchen anderen?«
    »Den anderen von seinem Klan.«
    »Erschossen«, sagte Arkady. »Von Polizeipatrouillen, in den zwanziger Jahren.«
    Das Zimmer war ordentlich und weiß. Auf dem Tisch in der Kochnische standen ein Entsafter und daneben ein Korb mit Orangen. Indonesische Tücher und Kissen waren auf einer Matratze verstreut. Notenblätter mit Auszügen aus dem Wohltemperierten Klavier lagen geöffnet oben auf dem Cembalo.
    Arkady entkorkte die Flasche, goß zwei Gläser ein, und während ich mir den Inhalt seines Bücherregals näher betrachtete, führte er ein Telefongespräch mit seinem Chef.
    Er sprach ein oder zwei Minuten über dienstliche Angelegenheiten und sagte dann, da sei dieser Engländer in der Stadt, der mit dem Vermessungsteam »in den Busch« gehen wolle … Nein, kein Journalist … Ja, so, für einen Engländer relativ harmlos … Nein, kein Fotograf … Nein, nicht daran interessiert, Rituale zu beobachten … Nein, nicht morgen … am Tag danach …
    Es entstand eine Pause. Fast konnte man den Mann am anderen Ende der Leitung nachdenken hören. Dann lächelte Arkady und zeigte mit dem Daumen nach oben.
    »Sie sind mit von der Partie«, sagte er und legte den Hörer auf.
    Als nächstes rief er den Autoverleih an und bestellte ein Fahrzeug für Mittwoch morgen. »Geben Sie uns einen Landcruiser«, sagte er. »Es könnte regnen.«
    Auf dem Bücherregal standen russische Klassiker, Bücher über die Vorsokratiker und etliche Studien über die Aborigines. Unter den letzteren waren zwei meiner Lieblingsbücher: Theodore Strehlows Aranda Traditions und Songs of Central Australia.
    Arkady öffnete eine Dose Cashewnüsse, und wir setzten uns im Schneidersitz auf die Matratze.
    »Nasdorowje!« Er hob sein Glas.
    »Nasdorowje!« Wir stießen an.
    Er stand noch einmal auf, zog ein Fotoalbum aus dem Regal und begann, die Seiten umzublättern.
    Die ersten Bilder waren allesamt farbige Schnappschüsse, meistens von ihm, Dokumente, wie sie jeder junge Australier von seiner ersten Reise nach Übersee mitbringt: Arkady an einem Strand in Bali; Arkady im Kibbuz Hulda; Arkady vor dem Tempel in Sunion; Arkady mit seiner zukünftigen Frau in Venedig, zwischen Tauben; Arkady, wieder in Alice, mit Ehefrau und Baby.
    Dann schlug er die hinteren Seiten des Albums auf: ein verblichenes Schwarzweißfoto von einem jüngeren Paar auf einem Schiffsdeck mit einem Rettungsboot im Hintergrund: »Mum und Dad«, sagte er. »Mai siebenundvierzig, als das Schiff im Hafen von Aden anlegte.«
    Ich beugte mich vor, um es näher zu betrachten. Der Mann war klein, er hatte einen flachen, kräftigen Körper, dichte schwarze Augenbrauen und

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