Traumpfade
winterlichen Seßhaftigkeit im Iglu gegenüber. Colin Turnbull dagegen berichtet, daß die Mbuti-Pygmäen in Äquatorialafrika die meiste Zeit durch ihren Regenwald ziehen, wobei ihre Ernährung mehr als gesichert ist: und doch werden auch sie eine Zeitlang seßhaft, »ritualisieren« eine Phase der Entbehrungen (und der Seßhaftigkeit), obwohl es ihnen an nichts mangelt.
Ich habe manchmal geglaubt, daß es möglich sei, eine Theorie aufzustellen, nach der die Seßhaftigkeit – und folglich die Zivilisation – »die kapitalisierte magere Jahreszeit« wäre.
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Hongkong
Paddy Booz erzählt, daß sie in den Straßen einer chinesischen Provinzstadt einem taoistischen Großmeister begegnet sei. Der Mann trug die blauen Gewänder und den hohen Hut eines Großmeisters. Er und sein junger Schüler waren kreuz und quer durch China gewandert.
»Und was«, fragte Paddy ihn, »haben Sie während der Kulturrevolution gemacht?«
»Ich bin auf einen Spaziergang in die Kun L’ung-Berge gegangen.«
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Während der Fahrt mit Arkady mußte ich an eine Stelle in Vernadskis Frühes Rußland denken, wo beschrieben wird, wie slawische Bauern in einen Sumpf tauchten und durch hohles Schilfrohr atmeten, bis das Geräusch der Reiter verhallt war.
»Kommen Sie mit mir nach Hause und lernen Sie meinen Vater kennen«, sagte er. »Er und seine Freunde haben das gemacht, als die deutschen Panzer durch das Dorf fuhren.«
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Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum. Virgils exemplarischer Hexameter, der das dumpfe Getrappel von Pferdehufen in einer Ebene beschreibt, hat seine persische Entsprechung in der Äußerung eines Überlebenden der Plünderung Bucharas durch die Mongolen: Amdand u khandand u sokhtand u kushtand u burdand u raftand. »Sie kamen und sie plünderten und sie sengten und brannten und sie töteten und sie bündelten ihre Beute und waren gegangen.«
In seiner Geschichte der Welteroberer sagt Juvaini, daß sein ganzes Werk und all die Greuel jener Zeiten in diesem einzigen Satz enthalten seien.
Aus Henry Yule: Marco Polo, I, 233
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Ein Mann zu Fuß ist überhaupt kein Mann.
Texanischer Cowboy
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Über die Grausamkeit von Nomaden:
Ich habe keine Mühle mit Weidenbäumen
Ich habe ein Pferd und eine Peitsche
Ich werde dich töten und gehen.
Yomut Turkoman
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Die Chronik von Nowgorod berichtet von der Ankunft einer Hexe aus der Tatarei und zweier Männer, die sie begleiteten, im Jahre 1223. Sie forderten ein Zehntel von allem: »Von Männern, Fürsten, Pferden, Schätzen, von allem ein Zehntel.«
Die russischen Fürsten lehnten ab. Die Invasion der Mongolen begann.
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Leningrad
Ein Picknick im Büro eines Archäologieprofessors: Kaviar, Schwarzbrot, Scheiben von geräuchertem Stör, Zwiebeln, Rettiche und eine Flasche Stolitschnaja – für uns beide.
Den größten Teil des Morgens hatte ich mir seine Ansichten über die Mechanismen von Nomadeninvasionen angehört. Toynbee vertrat die Theorie, daß eine Dürreperiode irgendwo in der Steppe Zentralasiens einen Stamm von seinen Weidegründen vertrieben und einen »Kartenhauseffekt« zur Folge gehabt habe – mit Auswirkungen bis nach Europa und China.
Mir dagegen war aufgefallen, daß die Nomaden nicht in Zeiten des Mangels, sondern des Überflusses am angriffslustigsten waren, in Zeiten größten Wachstums, wenn das Gras am grünsten war und die Hirten ihre Tiere sich vermehren ließen, über den Punkt der Stabilität hinaus.
Dem Professor zufolge schienen seine Nomaden in friedlichen, engen, gehorsamen Bahnen umhergezogen zu sein, ohne ihre Nachbarn zu stören, ohne die heutigen Grenzen der Sozialistischen Republiken zu überschreiten.
Später, nach ein paar weiteren Schlucken Wodka, umschloß er mich in einer brüderlichen paneuropäischen Umarmung, verengte seine Augen zu Schlitzen und sagte: »Was wir hassen, ist dies, oder?«
»Ich nicht«, sagte ich.
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Le Désert est monothéiste. Renans Aphorismus will besagen, daß leere Horizonte und ein blendender Himmel den Geist von seinen Zerstreuungen befreien und ihm erlauben, sich auf die Gottheit zu konzentrieren. Aber das Leben in der Wüste ist nicht so!
Um überhaupt zu überleben, muß der Wüstenbewohner – Tuareg oder Aborigine – einen außerordentlichen Orientierungssinn entwickeln. Er muß unentwegt tausend verschiedene »Zeichen« benennen, sichten, vergleichen – die Spuren eines Mistkäfers oder die Wellungen einer Düne –, um zu erfahren, wo er ist, wo die anderen sind, wo
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