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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Alcheringa-(Traumzeit-)Ahnen genau dasselbe Land bewohnt hatten wie er jetzt«.
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    Die Hirtenmoral in Australien:
    Jemand im Ministerium für Aborigine-Angelegenheiten – ich glaube, es war der Minister persönlich – hat erklärt, im Northern Territory hätten »die Rinder von Ausländern« mehr Rechte als die australischen Bürger.
    Die Hirtenmoral im alten Irland:
     
    Seit ich meinen Speer in die Hand genommen habe, ist kein einziger Tag vergangen, ohne daß ich einen Connaught-Mann getötet hätte.
    Conall Cernach, Viehhirte in Ulster
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    Jeder Nomadenstamm ist eine Militärmaschine im Embryonalzustand, die, wenn sie nicht gegen andere Nomaden kämpft, dem Impuls folgt, die Stadt zu überfallen oder zu bedrohen.
    Deshalb haben Siedler seit Anbeginn der Geschichte Nomaden als Söldner angeworben: sei es, um eine Bedrohung durch Nomaden abzuwehren – wie die Kosaken, die für die Zaren gegen die Tataren kämpften –, oder, wenn keine Nomaden da waren, um gegen andere Staaten zu kämpfen.
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    Im alten Mesopotamien verwandelten sich diese »Söldner« zuerst in eine Kaste militärischer Aristokraten, dann in Lenker des Staates. Daraus kann man folgern, daß der Staat als solcher aus einer gewissen »chemischen« Verbindung zwischen Hirte und Pflanzer hervorging, sobald man einmal erkannt hatte, daß die Methode des Einzäunens von Tieren auf eine träge Masse von Bauern angewandt werden konnte.
    Von ihrer Rolle als »Herren der befruchtenden Wasser« abgesehen, bezeichneten sich die ersten Diktatoren selbst als »Hirten des Volkes«. Tatsächlich sind die Wörter für »Sklave« und »Haustier« auf der ganzen Welt die gleichen. Die Massen müssen eingepfercht, gemolken, angebunden werden (um sie vor den menschlichen »Wölfen« draußen zu retten) – und, wenn es nötig wird, zum Abschlachten aufgereiht werden.
    Die Stadt ist daher ein Schafgehege, das auf den Garten draufgesetzt wird.
    Eine weitere Möglichkeit ist – nicht ohne Bedeutung für die Theorie, daß ein Krieg wie auf dem Schachbrett geplant werden könne –, daß das Heer, jedes Berufsheer oder Kriegsministerium, ohne sich dessen bewußt zu sein, ein Stamm von Ersatznomaden ist, die innerhalb des Staates groß geworden sind, die den Staat aussaugen, ohne die der Staat zusammenbrechen würde, deren Ruhelosigkeit jedoch letzten Endes zerstörerisch auf den Staat wirkt, da sie wie Rinderbremsen unaufhörlich versuchen, ihn zu Unternehmungen anzustacheln.
    *
    Hesiods Werke und Tage enthalten ein metaphysisches Modell für den Niedergang des Menschen im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt. Seine Stadien kultureller Entwicklung erstrecken sich vom Goldenen Zeitalter bis zum Silbernen und bis zur Bronze- und Eisenzeit. Die Bronze- und die Eisenzeit waren eine archäologische Realität, die Hesiod aus eigener Erfahrung kannte und die in einer Zunahme von Gewalttätigkeit und Streit gegipfelt hatte. Natürlich waren ihm das »Paläolithikum« und das »Neolithikum« unbekannt, und so wurden das Goldene und das Silberne Zeitalter von ihm symbolisch verstanden. In der umgekehrten Reihenfolge ihrer metallischen Vollkommenheit stellen sie eine Degeneration vom Unvergänglichen zum Angelaufenen, Zerfressenen und Verrosteten dar.
    Die Menschen des Goldenen Geschlechts, sagt Hesiod, lebten in einem Zeitalter, als Kronos, »Vater Zeit«, im Himmel regierte. Die Erde schenkte ihnen Überfluß. Sie lebten glücklich und ohne Sorgen, wanderten ungehindert über ihr Land, ohne Besitztümer, ohne Häuser oder Krieg. Sie nahmen ihre Mahlzeiten gemeinsam zu sich, miteinander und zusammen mit den unsterblichen Göttern. Sie starben, solange sie noch all ihre Glieder gebrauchen konnten, als wäre der Schlaf über sie gekommen.
    In der christlichen Zeit stützte sich Origenes ( Contra Celsum, IV, 79) auf Hesiods Text, um zu behaupten, daß die Menschen zu Beginn der Menschheitsgeschichte unter übernatürlichem Schutz gestanden und deshalb keine Trennung zwischen ihrer göttlichen und ihrer menschlichen Natur gekannt hätten – oder, um es anders zu formulieren, daß es zwischen dem instinktiven Leben eines Menschen und seinem Verstand keinen Widerspruch gegeben hätte.
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    In dem Teil Libyens, wo man wilde Tiere findet, leben die Garamantes, die jeden Umgang mit Menschen meiden, keine Kriegswaffen besitzen und nicht wissen, wie sie sich verteidigen sollen.
    Herodot, IV, 194
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    Die ersten Christen glaubten, daß sie, wenn sie in die Wüste zurückkehrten,

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