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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Regen gefallen ist, von wo die nächste Mahlzeit kommt, ob die Pflanze X blüht, die Pflanze Y Beeren tragen wird, und so weiter.
    Es ist ein Paradox der monotheistischen Religionen, daß, obwohl sie im Bereich der Wüste entstanden sind, die Wüstenvölker selbst dem Allmächtigen gegenüber eine Gleichgültigkeit an den Tag legen, die entschieden arrogant ist. »Wir werden zu Gott hinaufgehen und ihn begrüßen«, sagte ein bedu in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu Palgrave. »Und wenn er sich gastfreundlich zeigt, werden wir bleiben; wenn nicht, werden wir unsere Pferde besteigen und davonreiten.«
    Mohammed sagte: »Kein Mann wird Prophet, der nicht zuerst Hirte gewesen ist.« Aber wie er eingestehen mußte, waren die Araber der Wüste »unverbesserlich in ihrer Ungläubigkeit und Heuchelei«.
    Bis vor kurzem hielt ein Beduine, der wandernd in die Nähe Mekkas kam, es nicht für lohnend, auch nur einmal in seinem Leben um die Heiligtümer zu gehen. Doch war der Hadsch, die »Pilgerreise«, an sich eine »rituelle« Wanderung: um die Menschen aus ihren sündigen Heimen zu entfernen und, sei es auch nur vorübergehend, die Gleichheit aller Menschen vor Gott wiederherzustellen.
    Ein Pilger auf dem Hadsch hat den Urzustand des Menschen wiedererlangt: wenn er auf dem Hadsch stirbt, geht er als Märtyrer direkt in den Himmel ein. Ähnlich wurde Il-Rāh, »Der Weg«, zuerst als ein technischer Ausdruck für »Straße« oder »Wanderpfad« benutzt – bevor die Mystiker ihn sich zu eigen machten und damit »den Weg zu Gott« bezeichneten.
    Diese Vorstellung hat ihre Entsprechung in den zentralaustralischen Sprachen, in denen tjurna djugurba »die Fußspuren des Ahnen« oder »der Weg des Gesetzes« bedeutet.
    In den tieferen Schichten der menschlichen Psyche wird anscheinend ein Zusammenhang zwischen »Pfad-finden« und »Gesetz« hergestellt.
    *
    Für den arabischen Beduinen ist die Hölle ein sonnenheller Himmel, und die Sonne ein starkes, knochiges weibliches Wesen – böse, alt und voller Neid auf das Leben –, das die Weiden und die Haut von Menschen austrocknet.
    Der Mond hingegen ist ein wendiger, energischer junger Mann, der über den Schlaf des Nomaden wacht, ihm bei nächtlichen Wanderungen den Weg weist, der den Regen bringt und den Tau von Pflanzen tröpfeln läßt. Er hat das Pech, mit der Sonne verheiratet zu sein. Nach einer einzigen Nacht mit ihr nimmt er ab und ist aufgezehrt. Er braucht einen Monat, um sich zu erholen.
    *
    Der norwegische Anthropologe Frederick Barth schreibt, daß den Basseri, einem anderen iranischen Nomadenstamm, in den dreißiger Jahren von Schah Reza verboten wurde, ihre Winterweiden zu verlassen.
    1941 wurde der Schah abgesetzt, und sie waren wieder frei, um die dreihundert Meilen lange Reise in das Zagrosgebirge anzutreten. Frei waren sie, aber sie hatten keine Tiere. Ihre Schafe mit dem feinen Fell waren in den Ebenen des Südens umgekommen – aber sie brachen trotzdem auf.
    Sie wurden wieder Nomaden, was bedeutet, daß sie wieder zu Menschen wurden. »Es war die Freiheit zu wandern«, schrieb Barth, »die für sie den höchsten Wert hatte, nicht die Umstände, die es wirtschaftlich lohnend machten.«
    Als Barth die Abwesenheit von Ritualen oder irgendeines verwurzelten Glaubens bei den Basseri zu ergründen versuchte, kam er zu dem Schluß, daß die Reise selbst das Ritual war, daß die Straße zum sommerlichen Hochland der Weg war, und daß das Aufschlagen und Abbrechen von Zelten sinnvollere Gebete waren als alle Gebete in der Moschee.
    *
     
    Überfälle sind unsere Landwirtschaft.
    Beduinen-Sprichwort
    *
     
    Ich gegen meinen Bruder.
    Ich und mein Bruder gegen unseren Cousin.
    Ich, mein Bruder und unser Cousin gegen unsere Nachbarn.
    Wir alle gegen den Fremden.
    Beduinen-Sprichwort
    *
    Der Arabist Alois Musil, ein Cousin von Robert Musil, schätzte 1928, daß bei den Rwala-Beduinen vier Fünftel der Männer im Krieg oder durch Blutrache umkamen oder den Verletzungen erlagen, die ihnen dabei zugefügt worden waren.
    Jäger dagegen, die eine Kunst des Minimums praktizieren, halten ihre Zahl bewußt niedrig und genießen weit mehr Sicherheit, was ihr Leben und ihr Land betrifft. Spencer und Gillen schrieben über den Eingeborenen Zentralaustraliens, daß er zwar gelegentlich streite oder kämpfe, jedoch nie auf den Gedanken käme, sich neues Territorium anzueignen, eine Haltung, die sich erklären lasse mit dem »Glauben, daß seine

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